Publiziert am 15. Januar 2016 von Daniel Spanke

Moderne Meister – „Entartete“ Kunst im Kunstmuseum Bern

Das Kunstmuseum Bern besitzt eine umfangreiche Sammlung von Werken der Moderne. Es verfügt zum Beispiel rein quantitativ über die schweizweit umfangreichste Sammlung von Werken Wassily Kandinskys (10 Gemälde, 35 Arbeiten auf Papier aus allen Werkphasen) und Henri Matisse‘ (8 Gemälde, 3 Plastiken, 5 Papierarbeiten). Auch Paul Klee, Ernst Ludwig Kirchner oder Pablo Picasso sind mit Hauptwerken vertreten. Diese Sammlung wächst bis heute und sie wird auch in Zukunft weiter wachsen.

Die meisten dieser Kunstwerke hat das Haus nicht mit eigenen Mitteln erworben. Zahlreiche private Sammelnde haben über Legate, Stiftungen, Schenkungen und Leihgaben zur Vielfalt und zum kulturellen Reichtum der Sammlung des Kunstmuseums Bern beigetragen. Besonders wichtig sind in dieser Hinsicht die Hermann und Margrit-Rupf-Stiftung, die Stiftung Othmar Huber oder die Annemarie und Victor Loeb-Stiftung. Alle diese Stifter haben sich früh und engagiert für die Moderne Kunst eingesetzt, sie gesammelt und wollten mit ihrer Stiftung die Öffentlichkeit an diesem kulturellen Schatz teilhaben lassen. In diese Tradition soll sich auch das Legat Cornelius Gurlitt einreihen.

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Dieses Gemälde wurde vom Kunstmuseum Bern auf der Auktion „Moderne Meister“ der Galerie Fischer, Luzern am 30.6.1939 erworben. Voreigentümer: Nationalgalerie Berlin, ab 1937 Deutsches Reich. Bild: Corinth Lovis,  Selbstbildnis, 1923, Öl auf Karton 70 x 85 cm. Kunstmuseum Bern, Staat Bern, Eingang 1939.

Die Geschichte der Modernen Kunst ist heute eine der ganz grossen kunsthistorischen Erfolgsgeschichten. Diese Kunst ist so erfolgreich, dass man sie sogar als „Klassische Moderne“ bezeichnet. Das ist einigermassen erstaunlich. Denn die Moderne Kunst trat als das genaue Gegenteil von „Klassischer Kunst“ auf den Plan. Moderne Kunst als eine geschlossene Stilrichtung gibt es dabei nicht. Höchst unterschiedliche Positionen wie Postimpressionismus, Expressionismus, Kubismus, Dadaismus, Surrealismus, Konstruktivismus, Suprematismus, Neue Sachlichkeit, Magischer Realismus versuchten überkommene ästhetische Grenzen zu sprengen und die Kunst in völlig neue Bereiche vordringen zu lassen. Das gefiel nicht allen. Schnell waren die Gegner zur Stelle und schon 1913 wurde in einem deutschen Parlament unwidersprochen von „Entarteter Kunst“ gesprochen. In konservativen, nationalen und völkischen Kreisen wollte man die Kunst wie bisher streng limitieren und ihr bestimmte, definierte Aufträge geben. Gerade gegen solche Aufträge revoltierten Moderne Kunstschaffende unterschiedlichster Richtungen und lehnten es etwa entschieden ab, Vorstellungen nationaler oder staatstragender Identität mit ihrer Kunst zu bedienen. Deshalb wurde Moderne Kunst in diesen Kreisen geradezu gehasst. Das Schlagwort von der „Entarteten Kunst“ ist ein solcher Hassbegriff, denn er verbindet Kunstschaffen, das einem irgendwie missfällt oder das man nicht versteht, mit einem rassebiologisch begründeten Todesurteil.

In Deutschland wurde mit der Regierungsbildung durch die Nationalsozialisten 1933 der Rassismus Staatsdoktrin. Die Schweizer Forscherin Esther Tisa Francini hat ganz Recht, wenn sie in dem Bericht der Unabhängigen Expertenkommission Schweiz-Zweiter Weltkrieg zu Fluchtgut-Raubgut schreibt: „Was später mit „artfremden“ Menschen geschah, war zuvor mit „entarteter Kunst“ gemacht worden.“ Selbstverständlich kann man das Schicksal von Menschen, die systematisch und staatlich entrechtet, gedemütigt, ausgeraubt, gefoltert und ermordet wurden, nicht mit demjenigen der materiellen Kultur Europas auf eine Stufe stellen. Der Fall der „Entarteten Kunst“ in Deutschland aber erhellt die Mechanismen eines solchen zutiefst inhumanen Systems. Der Umgang mit Kunst ist ein sensibler Indikator, wie es um die Freiheit in einer Gesellschaft bestellt ist.

Wir zeigen unsere begeisternde Sammlung Moderner Meister stets auch in dem Bewusstsein, dass wir sie deshalb zeigen können, weil die Schweiz ein freies, demokratisches Land war, blieb und ist. Nur in Demokratien wird die Freiheit der Kunst wie die Freiheit der Menschen respektiert und geschützt. Es gehört zu den bedrückenden historischen und leider auch aktuellen Erfahrungen, dass in Staaten, die die Kunst nach ihren Vorstellungen regulieren und bestimmen wollen, Kunst letztlich überhaupt nur noch schwer möglich ist. Ein Staat, der die Kunst regulieren will, reguliert auch seine Bevölkerung und strebt danach, ihr seine Vorstellungen aufzuzwingen, alle anderen Vorstellungen aber zu unterdrücken. Exemplarisch kann dieser Zustand am Beispiel des Deutschen Reiches zwischen 1933 und 1945 studiert werden. Das Deutsche Reich unter der Diktatur der Nationalsozialisten wollte nicht nur bestimmen, was Kunst ist und was nicht, sondern auch was ein Mensch ist und wer kein Recht auf Leben hätte.

Ab dem 6. April zeigen wir im Kunstmuseum Bern eine Ausstellung „Moderne Meister – „Entartete“ Kunst im Kunstmuseum Bern“, die sich erstmals mit der Erwerbungsgeschichte von besonderen Werken der Moderne beschäftigt. Denn diese Werke stammen von Künstlern, deren Arbeiten in Deutschland aus deutschen Museen als „entartet“ entfernt worden sind. Ab 1937 entfesselten die Nationalsozialisten einen Bildersturm, der die Kulturlandschaft in Deutschland bis heute spürbar schwerstens beschädigt hatte. Ungefähr 20‘000 Werke wurden, unterstützt mit einem Gesetz, aus den Museen entsammelt, 566 davon in der berüchtigten Schandausstellung „Entartete Kunst“ in München an den Pranger gestellt und viele davon anschliessend bevorzugt in der Schweiz verkauft. Auch das Kunstmuseum Bern hat sechs Werke, die in deutschen Museen unerwünscht waren, auf verschiedene Arten erworben und ihnen so eine neue Öffentlichkeit gegeben. Diese Werke sind keine Raubkunst, wenn sie nicht als Leihgabe rassistisch Verfolgter im Besitz der entsammelten Museen waren. Denn man muss die Kulturpolitik des Deutschen Reiches zwar für verwerflich halten, aber diese „Selbstberaubung“ der Kulturlandschaft Deutschlands ist juristisch niemals angefochten worden. Nicht jedes Gesetz, das der NS-Unrechtsstaat erlassen hat, ist automatisch ungültig. Nur solche, die unerträgliches Unrecht darstellen wie die berüchtigten „Nürnberger Rassegesetze“ etwa, sind niemals zur Wirklichkeit gültigen Rechts gekommen. Solchen und ähnlichen Fragen im Zusammenhang mit einem der düstersten Kapitel der europäischen Geschichte geht die Ausstellung nach.

Die Ausstellung „Moderne Meister – „Entartete“ Kunst im Kunstmuseum Bern“ eröffnet am 6. April 2016.

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Autor

Daniel Spanke

Seit 2012 ist Daniel Spanke Kurator für Ausstellungen am Kunstmuseum Bern. Davor war er unter anderem Leiter der Kunsthalle Wilhelmshaven, Kurator des Kunstmuseum Stuttgart und von 2010-2012 Leiter Museum Haus Dix in Hemmenhofen.

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