Publiziert am 3. Dezember 2021 von residency.ch

Zu Gast in Bern – Nada Elkalaawy

«Swiss Made» – in keinem Land sind so viele, selbst die abwegigsten Produkte in grossen Discountern, mit einer Herkunftsbezeichnung versehen, meint Nada Elkalaawy (*1995) im Gespräch. Die Gastkünstlerin schildert diese Beobachtung im Innenhof des Kulturzentrums PROGR. Hier lebt sie auf Einladung von Pro Helvetia für drei Monate in der Gastwohnung von «residency.ch» – einem Engagement der Stiftung GegenwART. Mit ägyptischen Wurzeln, in London arbeitend, falle ihr diese Praktik der Grossverteiler besonders auf: Selbst bei «unbedeutenden» Produkten soll durch eine Flagge Schweizer Herkunft und besondere Qualität suggeriert werden. Etwas, was sie vielleicht noch in Frankreich bei hochpreisigen Waren beobachtet habe. In Ägypten gäbe es das nicht, vielleicht nur in Verbindung miit Baumwoll-Bettdecken. Solche und ähnliche Feststellungen interessierten sie im Rahmen ihres Aufenthalts…

Aus dem Skizzenbuch der Künstlerin

Nada Elkalaawys Aufenthalt in der Schweiz ist entsprechend eine Auseinandersetzung mit den eigenen wie fremden Bildern, welche dieses Land prägen. Ihr Skizzenbuch gleicht fast einer «Tour de Suisse». Die postkartenhaften, manchmal fast überzeichneten Darstellungen spielen mit Klischees und Beobachtung. Sie zeigen Kühe oder einen Toblerone-Riegel, der so gehalten wird, dass die Produktgestaltung die markante Spitze des Matterhorns aufnimmt und weiterführt. Die Blätter von Nada Elkalaawy entstehen in einer Praxis, wo diese eigentliche Flächen der Reflexion sind. Sie sind Teil des Arbeitsprozesses, in dem Skizzen vor Ort, Fotografieren, entsprechende Erinnerungen und Bildnisse aus Reiseführern ohne Hierarchie kombiniert werden. Die reichen Zeichnungen stehen in einer historischen Tradition der Reiseerinnerungen, bevor die Fotografien aufkamen, einerseits. Sie können andererseits als Kondensat unterschiedlichster Blicke auf die Schweiz verstanden werden – von demjenigen aus der Fremde, über die idyllische, touristische Sicht bis hin zur nüchternen Bestandsaufnahme. Die Serie zum Schweiz-Aufenthalt ist gemeinsam mit den Werken der zweiten Gastkünstlerin Soukaina Joual (*1990, lebt in Marokko) unter dem Titel «Duologue» Ende November im Kunstraum Dreiviertel zu sehen. Die Vernissage findet am 27. November statt.

Die Toblerone aus dem Skizzenbuch

Eine zweite Arbeitsserie des Aufenthalts bilden Gemälde, welche die latenten Fragen des «Dazwischen» stärker symbolisch aufnehmen: Darstellungen von Porzellanfiguren und -puppen. Diese wurden von einer nächtlichen Begegnung mit dem Schaufenster eines Puppenladens in unmittelbarer Nachbarschaft zur Galerie DuflonRacz in der Altstadt inspiriert. Hier sind unter dem Titel «Twofold» diese Malereien und Zeichnungen in einer Einzelausstellung im Raum «/Links/» auch zu sehen. Die Ausstellung dauert vom 19. November bis 18. Dezember. Es sind Darstellungen von Objekten, welche Nada Elkalaawy in Museen, Brockenhäusern und auch Puppenläden gesehen hat. Die Begeisterung dafür fliesst zusammen mit derjenigen für Füssli und dessen weisse Gestalten, wie sie in hiesigen Museen hängen. Porzellanfiguren, deren Oberflächen zwischen haptischer Anziehung und versiegelter Abstossung oszillieren, faszinieren die, an der renommierten Slade School of Fine Art ausgebildete, Künstlerin auch aus einem weiteren Grund: Unheimlich – als Objekt – und als Gefäss innen hohl, böten sie Platz für Inbesitznahme durch geisterhafte Wesen. Nada Elkalaawys sonstige Gemälde sind oft belebt von menschlichen Figuren aus der Vergangenheit, ob sie der Erinnerung oder Fotos entstammen, bleibt meist unklar. Sie sagt scherzhaft, sie sei auch in die Schweiz gekommen: «…to escape these figures and I found myself working with figure». Die Porzellanfiguren der aktuellen Gemälde treten oft in Paaren auf, wecken Assoziationen zu Fragen des Unterbewussten, wie sie die Künstlerin interessieren. Für sie seien diese Objekte auch immer mit ihrer Vergangenheit verknüpft, waren und sind sie doch fester Bestandteil des «Salons» in einem ägyptischen Haus. Dieser repräsentative Raum für Gäste hat einen seltsam zwiespältigen Charakter. Er sei immer mit einer Vielfalt an «Luxusobjekten», von Pendeluhren bis zu Porzellan im Rokoko-Stil angefüllt, werde aber von der Familie nie benutzt.

Ein Gemälde mit einem Motiv aus einem Schaufenster in der Berner Altstadt

Neben diesen Hintergründen sind die Gemälde aber auch offensichtlich ein Spiel mit Kitsch. Sie erzeugen ein Kippmoment zwischen Anziehung und Abstossung und lassen unser kulturelles Gedächtnis an das Inventar der Hollywoodschen Horrorfilme denken – sodass wir künftig beim nächtlichen Heimweg vor dem besagten Laden unseren Schritt wohl etwas beschleunigen werden.

Von Adrian Dürrwang für residency.ch

Adrian Dürrwang ist Historiker und Kunsthistoriker, schreibt unter anderem regelmässig fürs «Kunstbulletin» und lebt in Bern.

Ausstellungen:

Soukaina Joual & Nada Elkalaawy – Duologue
Vernissage: 27. November ab 19 Uhr
https://dreiviertel.ch/

Nada Elkalaawy – Twofold
19. November bis 20. Dezember 2021
https://www.duflon-racz.ch/bern/home
https://nadaelkalaawy.com/

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