Weshalb soll Männlichkeit überhaupt ein Thema sein?
Persönlich mag ich Männer sehr. Bin auch schon seit zwölf Jahren mit einem besonders gelungenen Exemplar verheiratet. Doch als in den 1980er Jahren sozialisierte und emanzipierte Frau interessiert mich schon seit langem, wie es eigentlich um die Männer als soziale Gruppe steht. Denn seit ich mich erinnern kann, bedeutete Frausein für mich ein bewusstes sich für eine bestimmte Weiblichkeit entscheiden, sich immer wieder hinterfragen und pionierinnenhaft – da es ja an Vorbildern fehlte – vorangehen. Doch wie ist es mit den (Hetero-)Männern? Mussten die sich genauso bewusst für eine bestimmte Männlichkeit entscheiden, sich einen Platz in der Gesellschaft erobern, sich hinterfragen, gegen Rollenbilder verstossen und pionierhaft verhalten? Ist ihr Rollenbild ebenso brüchig wie meines und musste mühsam selbst zusammengeschustert werden?
So begann ich vor drei Jahren mit dem Sammeln von Zeitungsausschnitten (Migros Magazin, Coop-Zeitung, NZZ), Blogs (Mama-Blog, Papa-Blog, Blog-Mag) sowie Zeitschriftenkolumnen rund ums Thema „Mann“ und „Männlichkeit“. Kürzlich widmete sogar die Zeit ein Sonderheft dem Thema: „Was macht einen Mann zum Mann?“ (Nr. 24, 6. Juni 2013) und die Schweizer Gesundheitskassen publizierten den Spezialbeitrag „Mann oh Mann. Das schwache Geschlecht“ in ihrer Zeitschrift (Vista, Schweizer Gesundheits-Magazin, Nr. 3, April 2013). (Nein – die Idee für den Ausstellungstitel kam nicht von dort). Das Material ist umfangreich. Mit einer vorher nicht gekannten Intensität wird das männliche Geschlecht diskutiert, analysiert, erklärt und verteidigt: Sei es, dass es um Kampagnen gegen die Benachteiligung von Jungs in der Schule geht, um die Aufhebung der Diskriminierung von geschiedenen Vätern, um die stärkere Gewaltgefährdung, Kriminalitäts- und Suchtanfälligkeit von Männern, die kürzere Lebensdauer, etc. immer wieder melden sich Stimmen zu Wort, welche das ehemals „starke Geschlecht“ als neues Opfer sozialer und politischer Umstände wahrnehmen und es retten möchten.
Sogar in der Universität ist das Thema als Lehrstoff angekommen. Seit den 1990er Jahren gibt es die Maskulinitätsstudien innerhalb der Soziologie (was ist ein Mann gesellschaftlich gesehen?) und der Kulturwissenschaften (was bedeutet Mannsein im kulturellen Wandel der Epochen?). Denn Männern ist offenbar ihre Selbstverständlichkeit als unhinterfragte Norm abhandengekommen. Betrachtet man die Kunst als Spiegel der Gesellschaft, dann sieht man deutlich, wie seit den 1960er Jahren – der sogenannten Zweiten Frauenbewegung – das Thema präsenter wird. Überdeckt wurde das bisher, weil der Fokus grösstenteils auf dem Schaffen von Frauen lag, welche machtvoll in die Kunstdomäne eindrangen und sich meistens selbst thematisieren. Darob gingen die Selbstthematisierungen von Künstlern und ihrer Männlichkeit fast vergessen.
Unsere Ausstellung bietet daher einen Parcours durch die männlichen Selbstverständnisse der letzten vierzig Jahre. Selbstverständlich bleibt dieser Rundgang unvollständig und auch subjektiv. Nicht dass mein Geschmack oder meine Vorlieben bewusst im Vordergrund standen – jedenfalls nicht mehr als bei anderen Kurator/innen. Doch ist das Thema erst gerade in den Kunstmuseen angekommen und müssen noch viele folgen, um einigermassen das Feld abzustecken. Letztes Jahr ist uns nämlich das LENTOS Museum in Linz und das Leopold Museum in Wien insofern zuvorgekommen, als beide Museen eine Ausstellung über nackte Männer gemacht haben. Dieser Fokus – so reizvoll er ist – scheint mir zu eng. Schliesslich haben wir uns die letzten 20‘000 Jahre das Kleidertragen angewöhnt und werden Männer auch immer stärker aufgrund ihrer äusseren Aufmachung bewertet. Als Anfang einer Beschäftigung mit dem Mann als solchem jedoch, war es durchaus gelungen. Man könnte nun darüber sinnieren, weshalb das Thema erst heute seinen Weg in die Kunstmuseen findet. Eine Antwort darauf geben möglicherweise die bisher üblichen Führungsstrukturen und Entscheidungswege der Museen sowie ihre zumeist männlichen Gremien, die offenbar keine Lust verspürten, sich mittels einer Ausstellung selbst infrage zu stellen. Interessant ist auch, dass wenig männliches Publikum sich für die beiden ansonsten äusserst erfolgreichen Ausstellungen in Österreich interessierte. Es kamen einfach noch mehr Frauen als sonst. Diesem Effekt hoffen wir im Kunstmuseum Bern mit vielfältigen Massnahmen zu begegnen. Mehr dazu später…
Veröffentlicht unter Blick hinter die Kulissen
Schlagwörter: Das schwache Geschlecht, Zeitgenössische Kunst