Publiziert am 17. März 2016 von Magdalena Schindler

Wenn Kunst und Religion sich treffen

Im Rahmen der ersten Veranstaltung 2016 der Reihe «Kunst und Religion im Dialog» eröffneten sich im Gespräch zwischen der Kuratorin Kathleen Bühler und dem Theologen André Flury überraschende Sichtweisen auf die Werke chinesischer Gegenwartskünstler im Zentrum Paul Klee.

Fragen zu Spiritualität und Religion mögen sich vielleicht nicht auf Anhieb stellen bei einem Rundgang durch die Ausstellung «Chinese Whispers. Neue Kunst aus den Sigg und M+Sigg Collections», die vom Kunstmuseum Bern und vom Zentrum Paul Klee gemeinsam organisiert wurde. Immerhin aber hält die Schau mit dem Kapitel «Zwischen Konsumwahn und Spiritualität» im Kunstmuseum Bern Werke bereit, in denen sich die Hinwendung zu einer neuen Innerlichkeit spiegelt. In diese Kategorie gehört beispielsweise die eindrückliche raumfüllende Videoinstallation von Tsang Kin-Wah The Second Seal, bei der in Anlehnung an die Apokalypse des Johannes rote Schriftbänder die Wände entlang zu Boden prasseln. Nicht hier jedoch knüpfte der Rundgang der Reihe «Kunst und Religion im Dialog» vom 6. März an, sondern im Zentrum Paul Klee und damit an einem nicht offensichtlich religiös konnotierten Teil der Ausstellung.

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Ai Weiwei, Fragments, 2005, Eisenholz (Tielimu), Tisch, Stühle, Teile von Balken und Pfeilern von rückgebauten Tempelanlagen der Qing Dynastie (1644–1911) / Ironwood (tieli wood), table, chairs, parts of beams and pillars from dismantled temples of the Qing Dynasty (1644–1911), 500 x 850 x 700 cm. M+ Sigg Collection, Hong Kong. By donation © Ai Weiwei Studio

Umso überraschender waren die Bezüge, die André Flury, Leiter der Fachstelle «Kirche im Dialog» der Katholischen Kirche Region Bern, im Gespräch mit der Kuratorin Kathleen Bühler aufzuzeigen vermochte. Ai Weiweis Installation Fragments aus Versatzstücken ehemaliger Tempelanlagen etwa bot sich an, die auch für die Kirchen aktuelle Herausforderung im Umgang mit Tradition und Erneuerung zu thematisieren. Ausgehend von den am Boden ausgebreiteten Landbesitz-Urkunden der Installation Leasehold von Tongqiang Mao dann liess sich über die Frage nach sozialer Gerechtigkeit – in China, Afrika oder Bern – diskutieren, ein Thema, das gemäss Flury schon im Alten Testament etwa vom Propheten Micha aufgeworfen wird. Ebenfalls zur Sprache kamen auf dem Rundgang der Mut der chinesischen Künstler angesichts ihrer kritischen Reflexion der politischen Verhältnisse, aber auch die Betroffenheit im Umgang mit dem Tod, vor dem alle gleich sind – auch jene ferngesteuerten Machthaber, die in der Installation Old People’s Home von Yuan Sun und Yu Peng auf Rollstühlen umherfahren.

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Sun Yuan & Peng Yu, Old People’s Home, 2007, Installation mit 13 lebensgrossen Kunstharzfiguren auf motorisierten, fahrenden Rollstühlen / Installation with 13 life-size puppets on motorized wheel chairs Dimensionen variabel / Dimensions variable. M+ Sigg Collection, Hong Kong. By donation © Sun Yuan & Peng Yu

Wenn Zhao Bandi in dem Gemälde China Lake C eine hippe Gruppe junger Chinesen mit den Knien im Wasser stehen lässt, ist das nicht nur ein Bild für die ins Wanken geratene chinesische Gesellschaft, sondern auch auf die hiesigen Verhältnisse übertragbar. Erstaunlich gut passte da das von André Flury erwähnte Gleichnis Jesu mit der Aufforderung, sein Haus nicht auf Sand zu bauen. So sind es letztlich die existentiellen Lebensfragen, die Kunst und Kirche gleichermassen umtreiben und die zu diskutieren für beide Seiten eine Bereicherung darstellt. Entsprechend zahlreich und interessiert waren die Besucher, die sich dem ebenso lehrreichen wie unterhaltsamen Rundgang durch «Chinese Whispers» an diesem Sonntag anschlossen.

«Kunst und Religion im Dialog» ist eine gemeinsame Veranstaltungsreihe von Kunstmuseum Bern, Zentrum Paul Klee, den drei Landeskirchen und dem Haus der Religionen. Der nächste Anlass findet am Sonntag, 17. April um 15h im Rahmen der Ausstellung «Moderne Meister. ,Entartete’ Kunst im Kunstmuseum Bern» im Kunstmuseum Bern statt.

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Magdalena Schindler

Magdalena Schindler ist seit 2012 Kunstvermittlerin am Kunstmuseum Bern und zuständig für das Angebot an Führungen und Workshops für Erwachsene. Zuvor war sie unter anderem als Kulturjournalistin tätig.

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