Publiziert am 28. November 2016 von Eva Aebersold

Vom Sehen und nicht sehen: Zwischen Materialität und Künstlerintention

Zeitgenössische Kunstwerke stellen das Berufsfeld der Konservierung und Restaurierung mit ungewöhnlichen Materialzusammenstellungen und vielschichtigen Collagen oft vor große Herausforderungen. Grenzen der erworbenen Erfahrung im eigenen Fachgebiet müssen im Umgang mit ausgefallenen Materialien immer wieder überschritten und damit neu definiert werden. Analog dazu tritt durch den direkten Austausch mit dem Künstler eines Werks eine neue konservatorische Ebene hervor, welche so bei Werken aus früherer Zeit nicht möglich ist.

Vorbereitend für die Präsentation im Fenster zur Gegenwart – Kunstmuseum Bern @ PROGR ist, als passendes Beispiel dazu, das Werk I was once Lonelyness des südafrikanischen Künstlers Moshekwa Langa konserviert worden. Die konservatorischen Maßnahmen für das Werk, welches sich im Besitz der Stiftung Kunsthalle Bern befindet, sind in der Abteilung für Restaurierung von Arbeiten auf Papier am Kunstmuseum Bern durchgeführt worden.

Moshekwa Langa (*1975), I was once Lonelyness, 2002/2011, Mischtechnik auf Papier, Autolack, 100 x 141 cm. Kunstmuseum Bern, Stiftung Kunsthalle Bern © Der Künstler

Der Träger aus Papier zeigt ein Format von 100 x 141 cm auf und wurde nach schriftlicher Aussage des Künstlers mit Genussmitteln wie Kaffee, Rotwein, Tee, Salz, Worchester-Sauce und Sand gestaltet. Nach Ausführung der Malschicht ist das Werk mit zweierlei Lackarten, einem glänzendem Klarlack und einem Autolack, bedeckt worden. Weiter liegen zahlreiche Salzkristalle auf dieser Lackoberfläche auf, welche in einem letzten Arbeitsschritt vom Künstler aufgestreut worden sein könnten.

Ansicht der Salzkristalle auf der Lackoberfläche im Streiflicht.

Ansicht der Salzkristalle auf der Lackoberfläche im Streiflicht.

Nebst der materiellen Untersuchung wird auch der kunst- und kulturhistorische Kontext des Werks in die Erarbeitung des Konservierungskonzepts miteingebunden. Die eingehende Beschäftigung mit der Künstlerintention ermöglicht es, dass diese durch konservatorische und restauratorische Maßnahmen ausreichend respektiert wird. Eine schwerwiegende Veränderung des bestehenden Ausdrucks oder der möglichen Aussage eines Werks wird so verhindert. Um aufzuspüren welche Wechselwirkungen zwischen den vom Künstler verwendeten Materialien ablaufen könnten und allenfalls ein Schadensrisiko für das Werk bedeuten, sind tiefgreifende Recherchen und eine transdisziplinäre Zusammenarbeit mit Fachkollegen nötig. In diesem Fall war es vor allem der Autolack, welcher Untersuchungen in einem weit von der Restaurierung entfernten Feld erforderten. Nach Nachforschungen über die Intention von Moshekwa Langa zur Verwendung des Autolacks kann ein direkter Bezug zu dem tödlichen Autounfall von zwei engen Freunden des Künstlers hergestellt werden. Von der Verarbeitung dieses Schicksals zeugen weiter auch verschiedene Reifenspuren auf dem Trägerpapier sowie der dargestellte Tunnel am unteren Blattrand. Des weiteren existiert der Gedanke, dass Moshekwa Langa mit den verwendeten Materialien – Rotwein, Kaffee, Tee, Worcester-Sauce, Salz und Sand – einen Versuch aufzeigt, das Alltägliche, das jeher in Verbindung mit den beiden tödlich verunglückten Freunden stand, in seinen ganz persönlichen Trauerprozess zu integrieren.

Der vorgängig beschriebene Schichtaufbau des Werks scheint also gänzlich dem künstlerischen Prozess zu entstammen und widerspiegelt damit die Absicht des Künstlers sehr stark. Die aufgestreuten Salzkristalle, welche ihre Haftung zu der Lackschicht verloren haben und im Hinblick auf die bevorstehende Ausstellung beim Transport oder der Hängung des Werks abzufallen und damit verloren zu gehen drohen, würden die Lesbarkeit dieses intendierten Schichtaufbaus stark herabsetzen. Infolgedessen sah die zentrale konservatorische Maßnahme des erarbeiteten Konzepts eine Fixierung der losen Salzkristalle auf der Lackoberfläche mit einem passenden Festigungsmittel vor. Nach durchgeführten Testreihen ist ein Klebstoff auf Basis von Kartoffelstärke angewendet worden, der einerseits durch Verneblung aufgesprüht sowie partiell mit dem Pinsel appliziert worden ist. So konnte die Verbindung zwischen den Salzkristallen und der Lackoberfläche wiederhergestellt werden. Wie sich diese Verbindung aufgrund des starken Drangs der Salzkristalle, Feuchtigkeit aus der Umgebung aufzunehmen, verändern könnte, ist jedoch nicht voraussagbar. Unbedingt erforderlich ist deshalb ein regelmäßiges Monitoring des Werks sowie die Gewährleistung einer konstanten Luftfeuchtigkeit für die weitere Lagerung.

In meiner fünfjährigen Ausbildung zur Restauratorin für Arbeiten auf Papier lerne ich zu sehen. Das heißt in erster Linie interessiert und unvoreingenommen zu beobachten um dann zu beschreiben. Dazu gehört aber auch ganz klar das Staunen und Bewundern. Besonders viel liegt mir daran die Brücke zwischen eben dieser sicht- und spürbaren Materialität und dem weniger sichtbaren Informationsgehalt eines Kunstwerks, wie der Künstlerintention, zu bauen. Die beiden Seiten des „Sehens“ lösen in ihrer Synthese, wie im Fall des Werks von Moshekwa Langa, eine große Faszination aus, die meine persönliche Motivation für die Erlernung dieses Berufs vollkommen bestätigt.

Noch bis zum 5. Dezember erlaubt das  Fenster zur Gegenwart – Kunstmuseum Bern @ PROGR in Zusammenarbeit mit dem Bone 19 Festival für Aktionskunst einen Blick auf die reichhaltige Oberfläche des bearbeiteten Werks. Dabei empfiehlt es sich, bei der Betrachtung öfters mal den Standpunkt und damit den Blickwinkel auf die Werkoberfläche zu verändern, um die leicht funkelnden Salzkristalle mit dem Auge einzufangen.

Veröffentlicht unter Allgemein, Blick hinter die Kulissen
Schlagwörter:

Autor

Eva Aebersold

Begleitend zu ihrem Masterstudium der Konservierung und Restaurierung für Graphik, Schriftgut und Photographie an der Hochschule der Künste Bern arbeitet Eva Aebersold ein Jahr als Praktikantin in der Abteilung für Restaurierung von Arbeiten auf Papier am Kunstmuseum Bern mit.

Kommentare

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Bitte füllen Sie alle Felder aus.

Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.

Keine Kommentare