Publiziert am 1. Mai 2017 von Sarah Merten

Verheissungsvolle Aussichten – Ein virtueller Rundgang durch die Ausstellung des AC-Stipendium 2017

Die Ausstellung des diesjährigen Louise Aeschlimann und Margareta Corti-Stipendiums versammelt ein weites Panorama des jüngeren Berner Kunstschaffens. Aber es ist nicht zu leugnen, dass es sich trotz den verheissungsvollen Aussichten, die uns dieses Panorama beschert, um einen Wettbewerb handelt und die ausgestellten Werke zueinander in einem Konkurrenzverhältnis stehen. Für das Ausstellungserlebnis soll dieser Umstand jedoch nicht massgeblich sein, im Gegenteil. Es sollen – wie man so schön sagt – sinnhafte Dialoge zwischen den Werken entstehen, oder ebenso inhaltlich produktive Brüche. Die Kunstwerke sollen sich durch inhaltliche oder formale Entsprechungen gegenseitig in der Entfaltung ihrer je eigenen Wirkung unterstützen und so voneinander profitieren.

Den Auftakt macht Sereina Steinemann mit einer spezifisch für die Ausstellung entwickelten Arbeit. Sie umfasst mit ihren „16 Künstlerplakaten“ das breite Panorama in ihrer eigenen Bildsprache und wirkt der konkurrierenden Ausgangslage damit integrativ entgegen. Das zentrale künstlerische Thema der Bilderzählung wird von Reto Leuthold und Selina Lutz im ersten Ausstellungsraum aufgegriffen. Die abstrakten Malereien von Reto Leuthold lassen sich allerdings nicht linear lesen, da sie aus unzähligen übereinandergelagerten Schichten bestehen. Auch die Zeichnungen von Selina Lutz folgen trotz figürlichen Elementen keiner konkreten Narration, sondern geben mit intuitivem Gestus Einblick in eine intime Erlebniswelt.

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Eines der drei ausgestellten Steinreliefs von Reto Steiner. Reto Steiner, Reliefs (Duratan), 2016/2017 Cenja Kalkstein, 46 x 60 x 16 cm © the artist

Kunstimmanente Fragestellungen – wie etwa der Gegensatz von Original und Kopie – werden im nächsten Raum aufgeworfen. Ivan Liovik Ebel präsentiert zwei nahezu identische kleinformatige Bilder. Als Malereien bleiben dabei beide ein Unikat, sind aber gleichzeitig auch Kopie der jeweils anderen. Auch Monika Stalder präsentiert malerisch dasselbe Grundmotiv in verschiedenen Variationen. Sie reizt mit den riesigen Formaten den Ausstellungsraum jedoch von der Decke bis zum Boden aus und kommentiert damit auch die Präsentationsbedingungen von Kunst. Als Kontrapunkt dazu heben sich drei Steinreliefs von Reto Steiner in geheimnisvoller Weise ab. Dieser Eindruck wird nicht zuletzt dadurch unterstützt, dass sich Reto Steiner einer in der zeitgenössischen Kunst beinahe totgesagten Technik bedient, nämlich der Steinbildhauerei.

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Monika Stalder o.T. (Reasons), o.T. (Les Fleurs), o.T. (Take A Little Trip), 2017 Öl auf Baumwolle je 250 x 177 x 4 cm, Ausstellungsansicht, Kunstmuseum Bern, 2017

Um Zeit und Raum sowie um die Präsenz bzw. Absenz dieser beiden Dimensionen drehen sich die Werke im anschliessenden Raum. Karen Amanda Moser findet in einer dreiteiligen Werkgruppe Mittel und Wege, sowohl die Grenzen des Tages als auch diejenigen eines definierten Raums auf listige Art und Weise herauszufordern. Tashi Brauen wiederum erschwert uns in seinen Fotografien die räumliche Verortung der abgebildeten Objekte im Bildraum. Und Matthias Liechti gibt schliesslich in seinen Bleistiftzeichnungen Uhren und Zielscheibe einen präzisen Kommentar über heutiges Zeitempfinden ab.

Die Spuren der Zeit sind das Thema von Lukas Hoffmanns Arbeit, die eine verwitterte Wand in der New Yorker Bronx zeigt. Die grossformatige Fotoserie reicht aber weit über die reine Dokumentation hinaus und entwickelt geradezu malerische Qualität.

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Lukas Hoffmann, Bronx River Avenue, NYC, 2016 Silbergelatineabzug auf Barytpapier, 6-teilig, je 180 x 122 cm Ausstellungsansicht, Kunstmuseum Bern, 2017

Mit der Werkgruppe Chiffren, die aus Fotografien und Wandobjekten besteht, schickt uns Alexander Jaquemet indes innerhalb der Ausstellung auf eine vieldeutige Spurensuche. Sabrina Röthlisberger indes legt mit Spuren aus ihrer eigenen Vergangenheit eine Fährte bis in die Gegenwart, bei der jedoch im mystischen Dunkeln bleibt, was nun Fakt und was Fiktion ist.

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Eva Maria Gisler, Modell 42, 2015 Fotogramm, 62 x 52 cm © the artist

Eva Maria Gisler thematisiert in unterschiedlichen Werkgruppen Existentielles wie etwa die Orientierung in einer Welt wie der heutigen, in der Fragilität und Stabilität nicht mehr als gegensätzliche Pole weit auseinander liegen, sondern im selben Moment zusammenfallen. Die Orientierung innerhalb der Malerei ist wiederum das grundlegende Thema im fortlaufenden Schaffensprozess von Simon Fahrni. Mit einer Auswahl neuer Arbeiten untersucht er gewissenhaft die Frage, was ein Bild ist und wie es entsteht. Auch Natalie Reusser beschäftigt sich malerisch mit der Frage nach der Bildwerdung indem sie zu ganz unterschiedlichen technischen Verfahren und Materialien greift. Mit zwei Arbeiten fächert sie ein breites assoziatives Spektrum auf, das von kunsthistorischen Referenzen bis hin zur high tech Materialforschung reicht.

Zum Abschluss jedoch verkommt in der raumfüllenden Installation von Rebecca die Spreng- und Erzählkraft von Bildern zu einem uncodierbaren Arsenal von Symbolen. In Form von ausgemusterten oder gar konfiszierten Fahnen erzählen sie hoffnungslos von vergangenen und verlorenen Kämpfen.

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Bild v. l. n. r.: Lukas Hoffmann, Monika Stadler, Reto Steiner, Eva Maria Gisler

Aus diesem Panorama aktueller und junger Berner Kunst hat die Jury folgende Künstlerinnen und Künstler für ihre Arbeiten ausgezeichnet: Das Hauptstipendium wird Reto Steiner (*1978) zugesprochen, je ein Förderstipendium erhalten Lukas Hoffmann (*1981), Eva Maria Gisler (*1983) und Monika Stalder (*1981). Herzliche Gratulation!

Die Werke der 16 Kunstschaffenden sind noch bis am 11.6.2017 im Kunstmuseum Bern zu sehen. Mehr Informationen auch unter: www.kunstgesellschaft.be

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Sarah Merten

Sarah Merten ist Kunsthistorikerin und seit 2012 als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Gegenwartskunst am Kunstmuseum Bern tätig.

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