Publiziert am 1. September 2014 von Kathleen Bühler

Wie man unter Wölfen schläft

Zur Zeit zeigen wir im Kunstmuseum Bern @ PROGR Fenster der Gegenwart die Videoinstallation How to Sleep Among Wolves (Wie man unter Wolfen schläft) von Luzia Hürzeler (geb. 1976 in Solothurn). Das dreiteilige Werk – 1 Doppelprojektion und ein auf Video aufgezeichnetes Interview – wurde innerhalb eines Nationalfonds Forschungs-Projekts mit der Hochschule der Künste Bern entwickelt, welche sich dem Verhältnis zwischen Mensch und Tier widmet und dieses insbesondere an der Situation von Zootieren untersucht. Schnell wird bei Luzia Hürzelers Aufnahmen klar, dass die Tiere im Zoo immer nach den Vorstellungen, Sehnsüchten und Wünschen der Menschen inszeniert werden. Diese sogar schmerzliche Erkenntnis steht auch im Zentrum des Videogesprächs mit Othmar Röthlin, der seit den 1950er-Jahren im Zoo Zürich die Wölfe begleitet hat. Er musste damals das enthusiastisch geknüpfte, freundschaftliche Band zu «seinen» ersten drei Wölfen abrupt beenden, weil diese aus ästhetischen Gründen erschossen und durch «schönere» ersetzt wurden. Sein Trauma bringt schonungslos das Dilemma des Zoos auf den Punkt, welcher für das Schicksal der noch frei lebenden Tiere zwar sensibilisieren, aber gleichzeitig auch eine Projektionsfläche für die Vorstellungen der Besucher bieten soll.

Eine solche Projektion oder Sehnsucht ist auch der Wunsch Hürzelers, selbst einmal Teil des Wolfsrudels zu werden, das sie im Sonnenschein friedlich beieinanderliegend und schlafend gefilmt hat. Ihre Doppelprojektion How to Sleep Among Wolves 1 zeigt auf der einen Seite die friedlich schlafenden Wölfe in ihrem Gehege und auf der anderen Seite sie selbst im Atelier des Bildhauers Rudolf Rempfler, der von ihr eine lebensgrosse, realistische Tonplastik herstellt. Während sie Modell liegt, schlummert sie immer wieder ein und «träumt» verschiedene Episoden, welche um ihre Beziehung zu Wölfen, deren Situation als Exponate sowie das Verhältnis von Mensch zu Tier im Generellen dreht. In poetischen Szenen beschreibt sie ihre Angst vor dem Wolf und das langsame Zutrauen, das sie zu ihm fasst, versetzt sich in die beengenden Verhältnisse eines Zootieres und reflektiert das Machtverhältnis des Menschen gegenüber dem Tier aus verschiedenen Perspektiven.

In der Umkehrung des Pygmalion-Mythos, lässt sie zu, dass sie selbst zu einer passiven Skulptur wird, denn nur in dieser Position, wäre es nach heutigen zoologischen Gesichtspunkten überhaupt denkbar, dass die Begegnung Mensch-Wolf stattfindet. Gleichzeitig besitzt der Verweis auf das Machtverhältnis auch geschlechtsspezifische Züge. Denn die weibliche, nackte Skulptur Pygmalion wurde nur dank der Allmacht des Künstlers zum Leben erweckt und steht für die Sehnsüchte und Machtfantasien des Künstlers an sich. Nicht nur wird hier also die Geschichte der Skulptur aus der traditionell den Frauen zugeschriebenen Position der Machtlosigkeit neu gedeutet, sondern wirft die stimmige Verschränkung zwischen dem schlafenden Wolfsrudel und der schlafenden Künstlerin die Frage auf, wer nun von wem oder was träumt und wer wohl am Schluss der Gefangene ist?

Hürzeler_Wölfe

Luzia Hürzeler, How to sleep among wolves 1, 2014. 2 videos, synchronized, HD Loop (22’ 39“), sound, video stills.

Die Videoinstallation wird in Koproduktion mit der Biennale Bern (Festival für zeitgenössische Künste, 11.-20. September 2014) gezeigt, welche dieses Jahr dem Thema „Zwischen Räumen“ gewidmet ist. Dieses Motiv benennt einerseits den Zustand zwischen verschiedenen Räumen als Moment der Orts- und Orientierungslosigkeit und andererseits die reizvolle Freiheit, bestehende Räume entgegen ihres ursprünglichen Zweckes zu nutzen und ihrer Funktion zu entfremden. In diesem Zwischenbereich ist auch Luzia Hürzelers poetische Installation angesiedelt, in dem sie sich in ein Wolfsgehege träumt und gleichzeitig die Situation der Zootiere als Platzhalter für ein Paradies thematisiert, das es nicht mehr gibt oder vielleicht sogar gar nie gegeben hat.

Mehr zur Biennale Bern unter www.biennale-bern.ch

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Kathleen Bühler

Kathleen Bühler, Kuratorin und seit 2008 Leiterin der Abteilung Gegenwartskunst am Kunstmuseum Bern. Sie kuratierte unter anderem die Ausstellungen «Merets Funken» (2012), «Das schwache Geschlecht. Neue Mannsbilder in der Kunst» (2013/14) und «Chinese Whispers» (2016).

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