Publiziert am 5. Oktober 2018 von République Géniale

Ungeplante Begegnungen: Pläne und Partituren

Die République Géniale umfasst mehrere Räume, die immer wieder anders genutzt und bespielt werden. Es entstehen wechselnde Konstellationen aus Menschen, Themen, Formen, die unerwartete Situationen und Erfahrungen erzeugen. Letzten Freitag begegneten sich Musik und Architektur. Ein Erlebnisbericht von Meret Arnold.

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Architekturstudierende im Gespräch über das Bauen in den Alpen im Poïpoïdrom, Foto: Kunstmuseum Bern

Es ist der 28. September, Freitagnachmittag in der République Géniale. Auf der Plattform ist eine Gruppe von Architekturstudierenden und Dozierenden der Berner Fachhochschule versammelt. Sie haben einen Kreis gebildet und diskutieren zum Thema Bauen in den Alpen. Um sie herum sind auf kleinen Tapeziertischen Modelle platziert, an den Wänden des Poïpoïdroms hängen Karten, Bilder und Pläne. Plötzlich ertönt der Klang eines Akkordeons aus einem der benachbarten Räume. Leise und langsam geht ein Akkord in den nächsten über, so als würde der Klang einem Weg folgen.

Im Studiolo 1 sitzt die Musikstudentin Ursina Makiol ganz alleine auf einem Stuhl, ihr Akkordeon in den Händen, vor sich einen Notenständer. Sie ist an diesem Nachmittag in die République Géniale gekommen, um zu üben. «re*hear*se – practice! practice! practice!» heisst ein Modul der Hochschule der Künste Bern, das im Rahmen von Teaching & Learning der République Géniale angeboten wird. Erfuhr man das Studiolo 1 vor einer Woche noch als Regenwald – in der Klanginstallation «Rainforest IV» von David Tudor mit Objekten vom Schrottplatz – erfüllt nun der Klang des Akkordeons den Raum. Die Musik dringt bis ins Poïpoïdrom. Für eine Weile gehen Musik und Architektur nebeneinander her.

Vielleicht hat Robert Filliou das gemeint, als er alle einlud, sich in der République Géniale ihr eigenes Territorium zu erschaffen. Mit der Musik der Akkordeonspielerin und dem Gespräch der angehenden Architekt*innen treffen zwei Ereignisse in einem Raum zusammen und durchdringen sich, ohne sich aneinander anzupassen. Sie behalten ihre Eigenständigkeit.

Auf der Plattform setzt sich derweil das Gespräch ungebrochen fort. Die Studierenden reden anhand von Meiringen und Brienz über individuelle und stereotype Bilder zum Bauen in den Alpen, über lokale Typologien sowie über Materialien und zur Konstruktionsweisen. In den nächsten Wochen werden sie aus ihren Analysen ein architektonisches Projekt entwickeln, das sie in Modellen und Plänen visualisieren.

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Erkenntnisse aus den Ortsanalysen von Meiringen und Brienz visualisiert in Modellen, Foto: Meret Arnold

Die Partitur zu Tom Johnsons «Hexagon» mit Spielanleitung, Foto: Valerian Maly.

Die Partitur zu Tom Johnsons «Hexagon» mit Spielanleitung, Foto: Valerian Maly.

Auch die Partitur, die von Ursina Makiol auf dem Notenständer liegt, könnte ein Bauplan sein. Das Stück «Hexagon» des US-amerikanischen Komponisten Tom Johnson (*1939) ist nicht in der herkömmlichen Notenschrift verfasst, sondern besteht aus mehreren aneinandergefügten Sechsecken. Die Zahlen an den Ecken geben Töne der chromatischen Tonleiter wieder. Die Zeichnung ist ähnlich einem Plan Anleitung und Bild zugleich.

Die Diskussion im Poïpoïdrom dreht sich nun um das Verhältnis der Konstruktionsweise zur Ästhetik von Bauten beziehungsweise zum vermittelten Bild der Architektur. Was sind die typologischen Eigenschaften von Holz- und Steinbauten und darf die Gebäudehülle eine bestimmte Konstruktion vortäuschen? Verbindliche Regeln erhalten die Studierenden nicht.

4, 11, 16 — 4, 11, 15 — 4, 12, 15 — 4, 12, 14 — 5, 12, 14… Die Musikstudentin folgt den Linien der Partitur von Akkord zu Akkord. Bei jeder Verzweigung muss sie aufs Neue entscheiden, wo sie weitergeht. «Begin with the central chord (4, 11, 16). Following the lines, move to adjacent chords, always sustaining two voices and moving the third voice. Move slowly, carefully, until each of the 63 chords has been played at least once, returning finally to (4, 11, 16).» So klar die Spielregeln auch sind, so vielfältig können die Interpretationen sein.

Ursina Makiol packt ihr Akkordeon ein und verlässt die République Géniale beinahe unbemerkt. Das Studiolo 1 ist wieder leer, das Gespräch über Architektur geht alleine weiter.

Als Besucherin konnte ich die Begegnung der zwei Ereignisse miterleben. Diese sinnliche Erfahrung hat bei mir Gedanken ausgelöst, auf die ich mich im Vorfeld des Besuchs nicht im Geringsten eingestellt hatte. Es sind diese unvorhergesehenen, feinen Momente, in denen sich mir die République Géniale aber am Klarsten und am Schönsten zeigt.

Musikstudierende sind im Rahmen von «re*hear*se – practice! practice! practice!» sind regelmässig in der République Géniale zu Gast: für die Daten siehe www.republiquegeniale.ch

Die Architekturstudierenden kommen noch einmal am 17.10. und am 7.11. in die République Géniale.

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Anhand dieser Blogartikel, Interviews und Videos von und mit den Beteiligten wird fortlaufend dokumentiert und reflektiert, was in der «République Géniale» stattfindet.

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