Publiziert am 25. September 2018 von République Géniale

David Tudor‘s «Rainforest IV» oder die Kunst, Schrott zum Klingen zu bringen

David Tudor — Rainforest IV
Workshop, Performance, Installation
10. September bis 23. September
Studierende der Hochschule der Künste Bern, Studiengang BA Sound Arts“, Leitung: hans w. koch, Köln und Valerian Maly

Vom Schrottplatz zur Aufführung: Making Of «Rainforest IV» (Video: Roger Ziegler)

Zwischen 1968 und 1973 komponierte David Tudor eine Reihe von Stücken mit dem Titel «Rainforest». In vier unterschiedlichen Versionen («Rainforest I – IV») wird darin die Idee eines Ensembles von klingenden Objekten mit einer für jedes Objekt spezifischen Klangcharakteristik entwickelt. Als Objekte können sowohl einfache Fundstücke als auch aus bestimmten akustischen Erwägungen heraus hergestellte Dinge verwendet werden. An jedem dieser Objekte werden Transducer (Körperschallerreger) befestigt, mit denen sich Klänge direkt auf ihre Oberfläche übertragen lassen. Material, Form und Größe der Objekte wirken als akustische Filter, die die Klänge auf eine je spezifische Art und Weise modulieren. Die Objekte haben damit drei Funktionen: Sie sind individuelle Skulpturen, musikalische Instrumente und mechanische Filter zugleich.

«Rainforest I» entstand 1968 für die legendäre Choreografie von Merce Cunningham, in der die Tänzer*innen in Trikots von Jasper Johns und zwischen heliumgefüllten Kissen, den «Silver Clouds» von Andy Warhol tanzten. Die bekannteste Version aus Tudors Kompositionsreihe ist allerdings «Rainforest IV» (1973). Das Stück sieht die Entwicklung eines räumlichen Environments aus «Rainforest»-Objekten vor. In dieser Version werden zusätzlich die kaum hörbaren Resonanzfrequenzen der Objekte selbst mithilfe von Kontaktmikrofonen abgenommen und über ein Audiosystem in den Raum projiziert.

Im Rahmen der Projektwoche mit Studierenden des Studiengangs Sound Art der Hochschule der Künste Bern wurde unter der Leitung des Gastdozenten hans w. koch aus Köln «Rainforest IV» erstmals in der Schweiz realisiert.

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Auf dem Schrottplatz wird nach geeigneten Gegenständen für die Installation gesucht. (Foto: Valerian Maly)

Nach einer Einführung – da begegnete man u.a. dem jungen Bill Viola, der 1973 an dem gleichnamigen Workshop teilnahm und zu Tudors «composers inside electronics» gehörte – ging es auf den Schrottplatz im Galgenfeld Bern, um metallene Gegenstände nach ihrer Form und ihrer akustischen Beschaffenheit auszusuchen. Zerbeulte Behälter, Kupferbänder, eine in der Landwirtschaft gebrauchte Milchbränte, leere Feuerlöscher, gar eine Trouvaille wie die Schulpausenklingel, deren PTT-Etikette mit «Bern, Oktober 1968» beschriftet ist, und andere Eisen- und Stahlgegenstände wurden ausgewählt. Der Auswahl liegen sowohl visuelle als auch akustische, aber auch metaphorisch-erzählerische Kriterien zugrunde.

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Unter den Fundstücken befinden sich veritable Trouvaillen, wie diese Schulpausenklingen, datiert anno 1968. (Foto: Valerian Maly)

Nach der Reinigung bei der Speditionsanlieferung des Kunstmuseum Bern wurden die Objekte mit Schnüren und Stahlseilen an der Decke des «Studiolo 1» befestigt. Jedes Objekt, frei im Raum schwebend und einzeln beleuchtet, wurde mit einem «Transducer» (das ist ein Lautsprecher ohne Membran, der das Objekt in Schwingung versetzt und so das Objekt selbst zum Lautsprechermembran wird)  und einem Kontaktmikrophon bestückt.

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Die Installation entsteht. Tag für Tag wird der Regenwald dichter… (Foto: Kunstmuseum Bern)

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…mit vereinten (digitalen) Kräften wird dazu auch am Sound getüftelt. (Foto: Kunstmuseum Bern)

Am Samstag, den 15. September bespielten die Studierenden diese «objets trouvés» in einem dreistündigen Konzert mittels live-erzeugten Klängen, mit Sound-Samples und vorab aufgezeichneten Umwelt-Klängen und verwebten sie zu einer vielschichtigen Komposition. Die Zuschauer*innen, die in gleichem Mass auch konzentrierte Zuhörer*innen waren, bewegten sich lauschend durch den Raum – wie auf der Pirsch, im Regenwald. Das Unvorhersehbare, die in den räumlich verteilten Objekten plötzlich erklingenden Geräusche – obwohl oft maschinell und aus industriellen Klängen erzeugt – erinnerten an die vielschichtige und die vielstimmige «soundscape» eines Urwaldes. Die am Konzert aufgezeichneten Klänge wurden in eine permanente Klanginstallation überführt, die anschliessend bis zum 23. September zu sehen und hören war.

 

Text: Valerian Maly
Mitwirkende Studierende: Lejla Bajrami, Michael Bernauer, Pabloc Chacon, Noe-Julian Eckmans, Till Eiholzer, Julian Glaus, Jan Glauser,Mari-Luz Gonzales, Raphael Hitz, Milena Krstic,Daniel Miska, Manolo Müller, Remy Rufer, Andreas Ryf, Tanja Stämpfli, Moritz Tobler, Simon Walker, Demian Wyss, Merlin Züllig
Künstlerische Leitung: hans w. koch, Valerian Maly
Technische Leitung: Beat Müller

Video: Roger Ziegler mit eigenem Filmmaterial und dem von Valerian Maly

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Anhand dieser Blogartikel, Interviews und Videos von und mit den Beteiligten wird fortlaufend dokumentiert und reflektiert, was in der «République Géniale» stattfindet.

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2 Kommentare

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Donnerstag, 28. Oktober 2021, 10:00

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Ungeplante Begegnungen: Pläne und Partituren | Kunstmuseum Bern Blog
Freitag, 5. Oktober 2018, 14:40

[…] wird. Erfuhr man das Studiolo 1 vor einer Woche noch als Regenwald – in der Klanginstallation «Rainforest IV» von David Tudor mit Objekten vom Schrottplatz – erfüllt nun der Klang des Akkordeons den Raum. […]