Publiziert am 10. Februar 2017 von Rainer Lawicki

Ted Scapa und Jean Tinguely: Ein Austausch in Freundschaft

Ted Scapa lernte Jean Tinguely 1982 kennen, als er für das Kunsthaus Zürich den Ausstellungskatalog der Retrospektive von Tinguelys Skulpturen gestaltete. Bereits 1962 übernahm Scapa den Benteli Verlag in Bümpliz bei Bern, nachdem er die Tochter des Verlegers, Meret Meyer-Benteli, geheiratet hatte. Unter seiner Verlagsführung  gab er dem Verlagsprogramm eine neue Note, indem er die Sparten Humor, Kunst und Fotografie besonders berücksichtigte. Viele Künstlerbegegnungen durch die Verlagsarbeit spiegeln sich auch in der Kunstsammlung von Scapa wieder. Doch die Begegnung mit Tinguely führte zu einer Freundschaft, die nicht nur durch die Nähe der Wohnsitze beider – dem Schloss Vallamand am Murtensee und Neyruz bei Fribourg – begründet ist.

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Jean Tinguely bei der Arbeit. Foto: Ted Scapa

Scapa erzählt sehr gerne, wie er Jeannot besuchte, um schliesslich von dem Künstler im Flugzeug entführt zu werden oder aber eine abenteuerlich-rasante Autofahrt im Rennwagen zu bestehen hatte. Ihr Zusammensein war von Aktivitäten geprägt: Sei es die Reise zu einer Ausstellungseröffnung, wobei Scapa den auf dem Rücksitz malenden Tinguely chauffierte oder aber den für das Spielhaus vom Schweizer Fernsehen 1990 aufgezeichneten Besuch von Scapa mit Kindern in Tinguelys Werkstatt in La Verrerie. Die Kunstsammlung von Scapa ist reich an Werken von Tinguely, besonders den bunten Malbriefen, in denen sich der Künstler für die Einladung zum Essen bedankt oder einfach Grüsse schickt. Eine Besonderheit jedoch ist die mit Schaukel-Skulptur betitelte, 1989 entstandene, Arbeit, die Tinguely für Scapa in dessen Beisein als Dank für eine Buchpublikation fertigte. Auch dieses Publikation war etwas Besonderes: Tinguely liess im Benteli Verlag ein Buch in 300 Exemplaren produzieren, dass nicht für den Buchhandel bestimmt war, sondern als Geschenk für Niki de Saint Phalle. Es ist ein von ihr gezeichnetes Kinderbuch mit dem Titel MEANY MEANY and the stolen toys. In der Ausstellung des Kunstmuseum Bern wird ein Malbrief Tinguelys vom 2. April 1989 gezeigt – lieber Ted Scapa ist das Niki “Meany-Meany” Buch schon fertig? –, der hinter der Schaukel-Skulptur zu sehen ist.

Die Schaukel-Skulptur wiederum ist zu einer Zeit entstanden, als Tinguely mit der Serie der Philosophen beschäftigt war, die er ab 1988 ursprünglich für eine Ausstellung im Pariser Centre Pompidou anfertigte. Die zwei Werkgruppen von fast 30 Skulpturen umfassen nicht nur Denker, sondern auch Forscher und Dichter. Die im Titel so sprechenden Arbeiten wie Demokrit in der Tinte (1989) oder Nietzsche beim Heftigdenken II (1989) verbindet mit der Schaukel-Skulptur, die im Werkkatalog zeitlich zwischen den beiden Philosophen wiedergegeben wird, dass sie auf eine segmentbogenartige Basis aufbauen, die ihnen eine wunderbare Beweglichkeit geben. Bei der Schaukel-Skulptur stellt sich eine Assoziation ein, die an das Auf-und-Ab eines Schiffes in Seegang denken lässt. Ursprünglich stand auch die Schaukel-Skulptur unmittelbar auf dem Boden, doch Scapa bat Tinguely um eine Erhöhung der Arbeit, damit sie sich von den vielen anderen Skulpturen im Wohnzimmer von Schloss Vallamand absetzen kann. Die geschweisste Plinthe ist nun eine Besonderheit im Werk von Tinguely – gleichzeitig birgt sie auch eine augenzwinkernde Gefahr: Denn die schaukelnde Skulptur bewegt sich langsam kreisförmig voran und es ist eine Frage der Zeit, wann sie bei laufenden Motor von ihrem Sockel herabstürzt. Scapa und Tinguely verband der Humor und der Hang zur Ironie  – die Schaukel-Skulptur kann in dieser Hinsicht als besonderes freundschaftliches Geschenk Jean Tinguelys an Ted Scapa angesehen werden.

Die Ausstellung «Ted SCAPA … und so NEBENBEI» dauert noch bis am 19.02.2017

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Autor

Rainer Lawicki

Rainer Lawicki hat Kunstgeschichte, Philosophie und Literaturwissenschaft in Deutschland und der Schweiz studiert und an der Universität Freiburg im Breisgau promoviert. Seit 2015 ist er Kurator und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kunstmuseum Bern, nachdem er zuvor am Zentrum Paul Klee in Bern gearbeitet hat. Zahlreiche Publikationen zur klassischen Moderne und Gegenwartskunst, sowie Ausstellungen.

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