Publiziert am 30. Januar 2015 von Pfr. Christoph Sigrist

Maria und ich: Dialog mit dem Fenster von Augusto Giacometti

Kirchenfenster sind offene Kunstwerke, die zum Dialog inspirieren. Die Fenster im Chor des Grossmünsters, die Augusto Giacometti 1932 fertigte, laden dreifach zum Dialog ein.

Zum ersten eröffnen Kunstwerke im Kirchenraum den Dialog mit dem Transzendenten und Inspirierenden, das beim Betrachten der Kunst inmitten des Sakralraumes zum Schwingen kommt. Betrachtende, Raum und Kunst verschmelzen zu einem einzigartigen Augenblick, der flüchtig genug versucht, das Zusammentreffen von Ewigkeit und Vergänglichkeit, Himmel und Erde zu fassen – im Wissen, dass Unfassbares nicht fassbar ist. Wenn die Fenster von Augusto Giacometti durch eine live Video-Installation präsent vor fremdem Ort sichtbar werden, drängt das förmlich zum Dialog über die Verfremdung des Fremden durch die Versetzung sakraler Kunst in säkulare Räume mit Kunstobjekten.

Zum zweiten laden die Fenster zum Dialog mit der christlichen Tradition ein, im Speziellen mit der Brechung der Farben im Blau der Maria wie auch im Leib des Mariens Kinds. Die drängende Frage dabei verwandelt sich vom ersten Blick: „Wie hast du es mit der Kunst?“ zur weiterführenden Suche: „Wie hast du es mit der Religion mit Blick auf das Bekenntnis, dass Gott Mensch wurde und Maria Gottes Sohn gebar?“ Dieser intime Dialog mit der Verortung der eigenen Kunst des Glaubens stellt sich bei den vielen tausend Besuchern ein, die sich im Lichtschein im Chor ins Farbenspiel der leuchtenden Fenster hingezogen fühlen und meditierend sich darin versenken.

Zum dritten zieht das Blau der Maria mit dem Kreuz in der Mitte hin zum Dialog unter Konfessionen, wie Glaubende in reformierter Prägung und katholischer Prägung es mit der Gestalt Mariens halten. Überraschend dabei ist, dass die auf den ersten Blick nüchterne Haltung reformierter Marienfrömmigkeit arg erschüttert wird durch die Predigt des Schweizer Reformators Huldrich Zwingli über Maria. Zwingli war ein blühender Marienverehrer. Diese Einsicht kontrastiert die Erkenntnisse katholisch geprägter Frömmigkeit, die es wagt, dogmatische Lehrformeln wie die Jungfrauengeburt und die leibliche Himmelfahrt Mariens zu hinterfragen.

Das Gespräch mit dem Bischof Felix von Basel und dem Kurator Daniel Spanke, da bin ich überzeugt, führt uns alle, Redende, Zuhörende, Betrachtende und Nachdenkende in einen neuen Raum, wo die Kunst des Glaubens, zu fragen und zu zweifeln, inspiriert und fasziniert.


Die Christi-Geburtsfenster Giacomettis im Grossmünster Zürich zwischen den Konfessionen

Ein Gespräch am Fest «Maria Lichtmess», dem Ende der Weihnachtszeit. Montag, 2. Februar, 18h, Kunstmuseum Bern.
Mit Christoph Sigrist, Pfarrer am Grossmünster Zürich, dem Bischof von Basel, Felix Gmür, und dem Kurator der Ausstellung «Die Farbe und ich. Augusto Giacometti», Daniel Spanke.

Grossmünsterfenster-Zürich_Giacometti

Augusto Giacometti, Christi Geburt, Farbige Glasfenster im Chor des Grossmünsters Zürich, 1933. 865 x 80 cm, 916 x 125,6 cm , 807 x 81,4 cm

 

 

Veröffentlicht unter Gastbeitrag
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Pfr. Christoph Sigrist

Pfr. Christoph Sigrist, Pfarrer am Grossmünster in Zürich, Privatdozent für Diakoniewissenschaft an der theol. Fakultät der Universität Bern, Präsident des Zürcher Forums der Religionen, Ratspräsident des Zürcher Spendenparlaments.

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