Publiziert am 2. Oktober 2018 von République Géniale

LOUISE GUERRA ARCHIVE: Care & Curating Fiction. Ein Gespräch

Louise Guerra (2013-2017, gegründet in Basel) war eine fiktive, kollektive Künstlerin, die als Agentin gegen Individualismus und Autorschaftsglauben in der Kunst in Erscheinung trat. Die Ausstellung FUTURESPECTIVES des Louise Guerra Archives setzt sich damit auseinander, wie zukünftig mit dieser fiktiven, kollektiven Biographie umgegangen werden kann. In sechs Veranstaltungen wird das Archiv aktiviert: verschiedene Künstler*innen, Vermittler*innen, Kurator*innen und Archivar*innen sind eingeladen, performativ mit dem Nachlass Louise Guerras zu interagieren. Damit wird der Ausstellungsraum sowohl zum Präsentations-, Produktions- als auch zum Reflexionsort.

Für die vierte Veranstaltung „Care & Curating Fiction“ haben Chantal Küng und Kathrin Siegrist (Louise Guerra Archive) die Kuratorinnen Claire Hoffmann und Sarah Merten zu einem Gespräch eingeladen. Claire Hoffmann hat verschiedene Projekte mit Louise Guerra realisiert, Sarah Merten die aktuelle Ausstellung des Louise Guerra Archive im Rahmen der République Géniale. Gemeinsam mit den anwesenden Besucherinnen (Brigitta Alföldi, Lena Friedli, Sarah Lucrezia Grossenbacher, Rita Magdalena Simon) wurde über die Fragen diskutiert, was es bedeutet, Fiktion zu kuratieren? – wo der Unterschied zum Kuratieren von „Non-Fiktion“ liegt? – und wie man sich in kuratorischem Sinne um Fiktion kümmern kann und sollte?

Das Gespräch vom 30. September 2018 wird hier gekürzt und redigiert wiedergegeben.

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Louise Guerra Archive, „Care & Curating Fiction“, Gespräch, République Géniale, Kunstmuseum Bern, 30.09.2018, Foto: Kunstmuseum Bern

Louise Guerra Archive: Sarah Merten hat uns eingeladen, für die République Géniale diesen Ausstellungsteil zu entwickeln. Es ist das erste Mal überhaupt, dass wir als Louise Guerra Archive auftreten. Zuvor waren wir – das haben wir damals noch nicht offenbart – Teil von Louise Guerra. Ein Teil dieser Ausstellung besteht darin, dass wir Leute einladen, die das Louise Guerra Archive, also das Erbe von Louise Guerra unterschiedlich aktivieren. Wir haben dafür verschiedene Themen aufgegriffen, die für Louise wichtig waren. Heute möchten wir darüber reden, was es bedeutet, eine fiktive Künstlerin, oder sagen wir eine fiktionalisierte künstlerische Strategie, zu kuratieren. Ein weiterer Aspekt betrifft die kuratorische Fürsorge gegenüber den verschiedenen Rollen, die damit einhergehen. Louise hat von 2013 bis 2017 existiert und war eine fiktive, kollektive Figur, oder Räumlichkeit. Sie hat in unterschiedlichen Konstellationen und Kapiteln gearbeitet, und ist dabei in verschiedenen Formaten in Erscheinung getreten. Wenn man von Fiktion redet, stellt sich die Frage, was überhaupt eine Fiktion oder eine fiktionalisierte Strategie ist. Wenn Fiktion im Sinne einer Gestaltung oder Imagination begriffen wird, kann man umgekehrt fragen, was denn eigentlich keine Fiktion ist? Demzufolge ist die spannende Frage nicht, was nun Fiktion ist oder nicht, sondern eher, welche Eigenschaften dieses Konzept beinhaltet und wie man es vermitteln, sich darum sorgen und es in die Zukunft tragen kann.

Claire Hoffmann: Ein Kunstwerk ist ja meistens etwas, das von einer Künstler*in geschaffen wurde und dadurch zu einer eigenen Realität findet. Wenn man mit Kunst zu tun hat, ist die Fiktion eine Voraussetzung.

Louise Guerra Archive: Bei Louise ist ja nicht nur das Werk Fiktion, sondern auch die Künstlerin selber. In diesem Sinne sind Louise und ihr Werk dasselbe. Wenn nun Louise selber das Werk ist, was sind dann aber wir? Und was sind diejenigen, die dieses Werk kuratieren?

Sarah Merten: Um das gleich wieder auf den Boden zu holen: In meiner Arbeit als Kuratorin habe ich es unabhängig von Fiktion oder nicht, immer mit realen Menschen und Gegenständen, mit realen Körpern zu tun. Ob dahinter eine fiktionalisierte Strategie steht, spielt erst mal keine Rolle. Daher scheint es zunächst eine Frage der Vermittlung, ob es wichtig ist, die Fiktion als Konzept aufzudecken und wenn ja wie.

Louise Guerra Archive: Gemeinschaftlichkeit spielt eine grosse Rolle. Aber auch hier stellt sich die Frage, was denn keine Gemeinschaft ist und wer bzw. was überhaupt das Subjekt sein könnte? Inwiefern ist das Subjekt autorisiert? Mit der konzeptuellen Anlage der Fiktion stellt Louise alle diese Fragen. Sie referiert mit dem Namen natürlich auf eine Singularität. Es stehen aber mehrere Personen dahinter, die keine feste Gruppe sind. Wer ist also wann zu welchem Recht autorisiert und nimmt sich welche Berechtigung heraus?

Sarah Merten: Könnte man daher sagen, dass es wichtig ist, hier Fiktion zu thematisieren, weil daran die Themen von Singularität und Autor*innenschaft anschliessen? Das Narrativ der Fiktion ermöglicht es quasi erst, über diese Thematiken zu sprechen.

Claire Hoffmann: In meiner Zusammenarbeit mit Louise Guerra hatte ich jedenfalls den Eindruck, dass die Fiktion und die Frage, ob und wie sie thematisiert werden soll ein wichtiger Bestandteil der Diskussion war. Der Diskurs darüber fand einerseits während der Vorbereitung der Ausstellung statt, und andererseits, indem sich die Thematik inhaltlich in einzelnen Arbeiten niederschlägt. Etwa bei einer Videoarbeit, die eine fiktive Biografie zeigt. Aber auch bei diesem Tisch hier wird es sehr deutlich, dass da verschiedene Autor*innenschaften mitschreiben. Gleichzeitig habe ich es so empfunden, dass ihr (Louise Guerra Archive) das formt und steuert und dass man viel besprechen, vorschlagen und fragen muss, wie das alles nun gemeint ist. Für mich als – tja, was war ich da überhaupt? – Ausstellungsorganisatorin, oder Gesprächspartnerin, war das schon anders als mit anderen Kunstschaffenden, bei denen diese Fragen gar keine Rolle spielen. Da muss ich weniger Rücksprache halten, was das eigentlich bedeutet, was hier passiert. Daher sind Gespräche, Emails aber auch das Saalblatt wichtig.

Sarah Merten: Ich habe es ähnlich wie Claire erlebt. Der Verständigungsprozess darüber, worum es bei Louise Guerra Archive / FUTURESPECTIVES geht und wer welche Rolle einnimmt war intensiver, da es keine Sowieso-Klarheiten gab. Gleichzeitig ermahnt es mich, dass ich diese erhöhte Aufmerksamkeit auch bei „realen“ Künstler*innen nicht vergessen darf. Das nehme ich auf jeden Fall aus dieser Zusammenarbeit mit. In Bezug auf dieses konkrete Projekt habe ich mich und meine Rolle jedoch nicht anders verstanden als sonst, weil es mir immer ein Anliegen ist, zusammen etwas zu verhandeln. Mein Verständnis von kuratieren ist kein Szeemannsches im Sinne des Autor-Kurators. Stattdessen ist es mir wichtig, sich auf eine Gemeinsamkeit zu einigen und entsprechend eine Gemeinschaft zu werden. Ein Unterschied war vielleicht, dass das Verstehen, worum es euch geht und wie ihr euch versteht, mehr Engagement von mir erforderte. Das war aber auch sehr schön, weil es eine Anteilnahme ist, die ein gemeinsames Gestalten erst ermöglicht.

Louise Guerra Archive: Das finde ich spannend. So wie du „Kuratieren“ denkst, geht es um das Aushandeln zwischen verschiedenen Positionen und zwar eben nicht im Sinne des autorschaftlichen Kurators, der Sachen nach seinem individuellen Gusto setzt. Stattdessen versucht man gemeinsam an einen Punkt der Kohärenz zu kommen und so gleichzeitig alle Stimmen miteinander zu verbinden. Das ist eine sehr komplexe Verhandlungsarbeit. Ich glaube das ist es, was grundlegend ist für Louise Guerra. In diesem Verständnis gibt es Parallelen. Dieser Moment hat auch mit Care zu tun, weil man darum besorgt ist, diese Sichtweisen miteinander verbinden zu können.

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Louise Guerra Archive, „Care & Curating Fiction“, Gespräch, République Géniale, Kunstmuseum Bern, 30.09.2018, Foto: Kunstmuseum Bern

Sarah Lucrezia Grossenbacher: Als Aussenstehende sah ich Louise Guerra für euch immer als eine Möglichkeit, diese Fragen, die euch schon länger beschäftigt haben, zu thematisieren. Was seid ihr, wie steht ihr zum Kunstmarkt, zu Institutionen, zu Autor*innenschaft? Alle diese Fragen, über die wir nun diskutieren. Louise hat euch dies ermöglicht, sie hat eine Spannung erzeugt. Diese Reibung hätte es nicht gegeben, wenn ihr als Einzelpersonen aufgetreten wärt.

Claire Hoffmann: Im Zusammenhang mit dieser Spannung überrascht es mich, dass das Louise Guerra Archive jetzt ein Logo hat und auch, dass es im Statement zum Archiv in einer ziemlich strengen Auslegung um Copyrights geht. Ist das nun eine Überspitzung, eine Ironie oder ernst gemeint? Das hat mich irritiert. Andererseits auch nicht, weil ihr schon immer die Kontrolle über die Figur der Louise Guerra behalten habt, egal wie viele Personen mitgewirkt haben. Die Wortwahl war Euch immer wichtig. Ihr hattet eine klare Vorstellung davon, was Louise soll und will.

Sarah Merten: Da drin versteckt sich auch eine Autor*innenschaft. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, dass Louise Guerra eine Art Selbstbedienungsladen ist, wo ihr etwas für die anderen zur Verfügung stellt. Das wäre nochmals eine ganz andere, radikalere Form von kollektiver Autor*innenschaft gewesen. Das habt ihr aber nicht gemacht.

Louise Guerra Archive: Für uns war es diesbezüglich auch eine spannende Achterbahnfahrt. Wir haben Louise Guerra immer als offenes Konzept gedacht. Den Selbstbedienungsladen wollten wir nie, aber vielleicht den Bring-und-Hol-Laden, bei dem noch eine Person hinter der Theke steht. Eher so, dass es keine Autorisierung gibt vom Label Louise Guerra. Gleichzeitig haben wir uns durch diese Produktion und Autor*innenschaft auf einer psychologischen Ebene auch damit zu identifizieren begonnen, und in dieser dritten Person das Ich gesehen.

Sarah Merten: Darin liegt wohl auch wieder ein Moment des Umsorgens. Weil ihr euch um diese Figur sorgt; darum, was sie alles sein kann, was ihr gut tut und was nicht – aber auch, was euch gut tut, weil sich in diesem Moment die Figur und das Selbst vermischen.

Claire Hoffmann: Die Archivarbeit ist letztlich eine Konsequenz davon. Es gibt so viel, das immer noch spannend und weiterhin ungelöst ist. Deshalb fragt man sich, was es für eine andere Form dafür geben könnte? Was ist denn eure Vision von diesem Archiv?

Louise Guerra Archive: Unsere Fragen sind: Wie geht man mit so einem Nachlass um? Was bedeutet ein künstlerisches Leben und was bedeutet Leben generell? Es geht um eine Verantwortung gegenüber Louise Guerras Spirit. Jedenfalls ist es etwas, was uns relevant erscheint und wir uns jetzt fragen, wie man das weitervermitteln kann, ohne dass Louise einfach immer weiter produziert. Wir wissen es auch noch nicht abschliessend, aber das Archiv ist eine neue Formatierung.

Lena Friedli: Habt ihr deswegen auch entscheiden können, dass ihr nun mit euren eigenen Namen auftretet? Ihr habt ja einen Rollenwechsel gemacht. Ihr seid jetzt diejenigen, welche die Aufgabe übernehmen, Louise Guerra archivarisch zu betreuen.

Louise Guerra Archive: Nun, wenn man vier Jahre den eigenen Namen unterschlägt, kommt man irgendwann an den Punkt, wo man sich fragt, wie man jetzt weitergeht. Ich würde aber nicht sagen, dass es eine Kapitulation vor institutionellen Strukturen und geforderter Zuordenbarkeit ist, weil man den eigenen Namen doch noch irgendwo platzieren möchte. Das Archiv ermöglicht uns das – und wir sagen nicht nein dazu. Diese Fragen sind alle aufgekommen, als wir für diese Ausstellung eingeladen worden sind. Ich kann vielleicht noch anfügen, dass wir mit Louise aufgehört haben, weil es für uns konzeptionell ausgereizt war. Es ist nun ein Packet mit 20 Kapiteln. Für uns ist damit passiert, was passieren musste und es funktioniert so als Leben. Das war der Abschluss. Danach kam Sarah mit der Einladung für Louise Guerra. Da haben wir gesagt nein, das geht nicht, das einzig mögliche wäre eine Retrospektive.

Sarah Merten: Darf ich da meine Version hinzufügen? Ich wusste, dass es Louise nicht mehr gibt. Ich habe euch für eine Retrospektive eingeladen mit der Frage, ob ihr Lust habt, euch zu überlegen, wie eine solche aussehen könnte.

Lena Friedli: In diesem Fall hattest du als Kuratorin im positiven Sinn Einfluss auf diesen Prozess?

Sarah Merten: Ich kann mich daran erinnern, dass die Einladung zeitlich mit eurem Prozess der Auseinandersetzung um die Zukunft von Louise Guerra zusammenfiel. Insofern glaube ich schon, dass diese Einladung viel zu eurem Selbstverständnis und zu einer zumindest temporären Klärung beigetragen hat.

Louise Guerra Archive: Die Auseinandersetzung mit dem Archiv und der Retrospektive war sehr wichtig. Ich glaube sogar, dass wir heute mit Louise Guerra tatsächlich auf einem Stand ankommen sind, wo wir vorher sein wollten, aber nicht waren. Jetzt wo Louise Guerra vorbei ist, dürfen auch wir nicht mehr als Louise auftreten. Dadurch ist es viel gleichberechtigter für alle Mitwirkenden, weil nun alle von der gleichen Ebene auf die Entwicklungen im Archiv einwirken können.

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Louise Guerra Archive, „Care & Curating Fiction“, Gespräch, République Géniale, Kunstmuseum Bern, 30.09.2018, Foto: Kunstmuseum Bern

Lena Friedli: Zu Louises Lebzeiten hat das Fiktionale viel stärker dominiert. Heute ist es reflexiver, es geht immer noch um dieselben Themen. Doch wird es jetzt zu einem Diskurs, während es vorher eher ein Happening war.

Sarah Merten: Das Archiv und FUTURESPECTIVES entsprechen auch einer Demokratisierung. Ihr habt weniger Einfluss auf die entstehenden Beiträge.

Sarah Lucrezia Grossenbacher: Wie ging das genau vonstatten?

Louise Guerra Archive: Wir wussten, wen wir einladen wollen. Eine Auswahl zu treffen ist eine kuratorische Realität. Indem wir Titel für die Veranstaltungen gesetzt haben, wurde das Thema definiert. Aber danach haben wir freie Hand gelassen.

Lena Friedli: Und was wir hier im Raum sehen? Habt ihr das ausgewählt?

Louise Guerra Archive: Was man hier im Raum sieht, wurde von den eingeladenen Personen ausgewählt. Wir haben die Auswahl in der Vitrine getroffen. Wir hatten ja immer Plakate zum Mitnehmen, die von Louise gestaltet waren. Jetzt haben wir Silas Heizmann eingeladen, unter seinem Namen eines für das Louise Guerra Archive, für diese Ausstellung zu machen. Wir haben ihm aber nicht für ein Logo beauftragt. Er hat das einfach gemacht und uns dann den Stempel überreicht.

Lena Friedli: Der Stempel ist ein schönes Objekt. Er ist zwar autor*innenschaftlich, aber mit einer kollektiven Anlage. Eine Signatur kannst du nicht kopieren, den Stempel aber kannst du herumreichen.

Sarah Merten: Das ist auch wieder demokratisch.

Lena Friedli: Genau.

Rita Magdalena Simon: Ich finde diese Ausstellung und was hier passiert, sehr spannend. Es war schön, Louise Guerra zu entdecken. Zugleich war da die Enttäuschung, dass sie gar nicht mehr existiert.

Louise Guerra Archive: Das ist ein schönes Feedback und auch eine Anlehnung an die Frage, ob wir kommuniziert haben, dass es eine Fiktion ist oder nicht, und ob das wichtig sei. Es war immer ein Mäandrieren. Jetzt mit Louise Guerra Archive ist es einfacher das auszusprechen, jetzt ist es klar.

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Anhand dieser Blogartikel, Interviews und Videos von und mit den Beteiligten wird fortlaufend dokumentiert und reflektiert, was in der «République Géniale» stattfindet.

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