Publiziert am 3. Oktober 2018 von République Géniale

Interview mit Frieder Butzmann zu Fluxus Galaxis 2 (resurrected)

Interview von Valerian Maly mit Frieder Butzmann anlässlich dessen Aufführung von Fluxus Galaxis 2 (resurrected) mit Laura Müller, Johannes Feuchter, Fernanda Rodriguez (Klarinetten), Viola Klein (Violine), Francesca Varga (Viola), Ursina Makiol (Akkordeon), Dana Loftus, Klara Schilliger (Xylophon) und Emile van Jelleputte (Kontrabass).
Der Berliner Komponist, «Crachmacheur», Hörspielautor, Vortragsreisende und Geniale Dillentant erinnert sich in der République Géniale seiner Anfänge in Konstanz. Dort produzierte er 1974 ein mehrstündiges Silmultanereignis namens Fluxus Galaxis mit «wunderschönen Rückkopplungen» und «telefrenetischen Frequenzen» und projizierte mit Day-Glow-Farben aus selbst gefertigten Säften farbige Muster an die Wände.

Valerien Maly: Am vergangenen Samstag wurde die Fluxus Galaxis 2 (resurrected) aufgeführt, ja eigentlich ur-aufgeführt, denn diese unterschied sich deutlich zu deiner ersten Fluxus Galaxis aus dem Jahr 1974 und ist eine gänzlich neue Kreation. Wie steht Fluxus Galaxis 2 (resurrected) in Bezug zu Robert Fillious Denken?

Frieder Butzmann: Mit Filliou hat die Fluxus Galaxis 2 natürlich schon alleine deswegen zu tun, weil sie im Rahmen der Republique Géniale im Kunstmuseum Bern aufgeführt wurde. Wo ich mich mit Robert Filliou treffe, ist, wenn die Kunst als eine von vielen Tätigkeiten begriffen wird, sich wie ein Netz an ein größeres anschließt, das sämtliche menschliche Aktivitäten zusammenfasst und auf den Kosmos trifft. Es ist ein Werk, das in der Schwebe weilt. In der Schwebe von Raum und Zeit, weil ich sehr viele meiner Musiken und circa 25 Hörspiele aus den letzten 40 Jahren aus mehreren Lautsprechern permanent als Grundrauschen quasi als akustische Hintergrundstrahlung der Galaxis in Szene gesetzt habe. Das alleine wäre schon ein Simultanereignis. Dazu kamen ja auch noch ca. 50 kleine Filmchen abwechselnd und gleichzeitig zu sehen und zu hören waren. Das war schon ganz viel Sternenstaub für die neun Musiker, die unabhängig voneinander musizierten. – Nebenbei bemerkt hatten sie ja auch viel intuitiven Freiraum, den sie hervorragend genutzt haben.

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Foto: Kunstmuseum Bern

VM: Nun könnte man bei dem Titel ja vermuten, dass es sich um lauter Fluxus-Anweisungen handelt. Stattdessen hört man Versatzstücke spätbarocker Anmutung von Domenico Scarlatti und Johann Sebastian Bach, aber auch Fragmente freier Improvisation zu elektronisch erzeugten Klängen von Dir. Fluxus Galaxis also als ein fliessendes, ständig sich neu kreierendes Ereignis?

FB: Ja, die Musiker hatten zwar die Erlaubnis, zu spielen, was sie möchten, ich hatte ihnen aber auch Partituren gegeben. Am beliebtesten war dabei SCARLATTI MECHANICS, die vor allem aus den jeweils ersten drei Takten der 555 Sonaten von Domenico Scarlatti besteht. Neben meiner Elektronik und Zitaten waren also noch ein Kontrabass, zwei Klarinetten, eine Violine, eine Viola, zwei Xylophone, ein Akkordeon und eine Bassklarinette zu hören. Keiner sollte auf den anderen hören, denn letztlich ging es mir um die Abstände zwischen den Tonquellen. Man redet im Zusammenhang von Musik immer von einer Zeitkunst, doch es ist ja auch eine Raumkunst!

VM: Du sprachst kürzlich augenzwinkernd von einer «Neapolitanischen Mehrstimmigkeit» und erläutertest so dein Interesse an Domenico Scarlatti und der Simultaneität der Fluxus Galaxis. Wie kommt Scarlatti zur Butzmann’schen Verehrung?

FB: Ich bin ein großer Fan von Domenico Scarlattis 555 Sonaten. Ähnlich wie bei Mozart das Köchel-Verzeichnis gibt es bei Scarlatti das Kirkpatrick-Verzeichnis. Ich mag das Buch, weil es sehr einfach und ungekünstelt geschrieben ist. So berichtet Kirkpatrick von den Übungsräumen in den Musikschulen Neapels im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert so, dass alle Musiker gemeinsam in einem großen Raum unabhängig voneinander ihre Stücke übten. Das hörte sich an wie ein großes Simultankonzert unabhängiger Stimmen.

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Foto: Kunstmuseum Bern

VM: Die Gleichzeitigkeit des Anderen – so hiess 1987 eine Ausstellung von Jürgen Glaesemer im Kunstmuseum Bern. Ist es das, was du anstrebst: Barockinstrumente aufs Selbstverständliche verwoben mit elektronischer Musik?

FB: Ein Begriff, der für mich wichtig ist, lautet «indeterminacy». Diese Unbestimmtheit entsteht unter anderem dadurch, dass den Aufführenden von Fluxus Galaxis 2 kein Tempo und keine genaue Reihenfolge, nur ein Zeitrahmen vorgegeben ist. Eine gewisse Art von «indeterminacy» gibt es auch für das Publikum. Jede/r hört eine andere Aufführung, weil jeder Zuhörer zwischen den im Raum verteilten Musikern wandeln kann, jede/r andere Dinge hört als der/die andere, der/die gerade woanders im Raum wandelt. Zeitgenössisch ist, dass man die ganze Aufführung auch als ein DJ-Werk aus Sounds von Frieder Butzmann und Bearbeitungen von Domenico Scarlatti betrachten könnte. So werden die Scarlatti-Sonaten-Fragmente von den Musikern fast wie Computer-Musik gespielt, laut Angaben ohne Phrasierungen, und vermischen sich mit den analogen Modul-Synthesizer-Klängen. Wichtig war mir trotz größtem Kontrast, einen Übergang zwischen elektroakustisch und instrumental zu schaffen. Das ist eigentlich ein Anliegen aus den 1950er-Jahren, der ich versucht habe, erfolgreich nachzukommen.

VM: Du hast ja mit Fluxus Galaxis 1 gleich eine Republik ausgerufen; wann und wo war das?

FB: Ja auf dem Plakat zu der Veranstaltung damals steht wörtlich «Kommt alle zur Ausrufung der Fluxus Republik!» Ich war 1974 gerade erst 20 Jahre alt geworden, nach damaligen Recht noch nicht einmal volljährig. Ich glaube, dass ich damals mehr an Dada gedacht habe. Dada hat ja viel mehr einen Individual-Anarchismus. Aber Fluxus hat mir einfach gefallen! Das Wort fand ich schon gut! Und Galaxis kam eigentlich von Marshall McLuhans Buch Die Gutenberg Galaxis. Und die Fluxus Galaxis war für mich so eine Art Abbild der aufkommenden Medienwelt, in der ich vielleicht aufgrund besonderer Interessen etwas näher war als viele Zeitgenossen.

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Foto: Kunstmuseum Bern

VM: Ist das Ganze ein «Living Archive» der Butzmann’schen Welt?

FB: Als Archiv habe ich das eigentlich nie gesehen. Mehr als Teil der Welt der Dinge und Tatsachen. Ich denke die Ausrufung der Republik damals, zielte darauf ab, dass ganz unterschiedliche Dinge zusammenkommen und nebeneinander tönen, laufen, suchen, schnarren, rufen, husten, rollen, vibrieren, purzeln, leuchten, bewegen, Haare ausraufen, malen, schreien, blitzen, summen, leuchten, singen.

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République Géniale

Anhand dieser Blogartikel, Interviews und Videos von und mit den Beteiligten wird fortlaufend dokumentiert und reflektiert, was in der «République Géniale» stattfindet.

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Anna Blume, Du heraus bitte zum ersten Mai im roten Gewand, da wir die Revolution noch liebten ohne die große Angst, sei mein Gedicht Du heute – An den Rändern lauern die Erfahrungen.
Sonntag, 1. Mai 2022, 09:15

[…] spielten zwei Bands und ein Kammermusik – Quartett inklusive Ballett – Tänzerin. Und eine Republik wurde auch noch ausgerufen. Das alles im Foyer der damals noch recht neuen Uni der Stadt. Die paar […]