Publiziert am 6. Dezember 2013 von Kultussen

Im Bann des Androgynen

Die Berner Bloggerinnen „Die Kultussen“ führen am Dienstag, 10. Dezember 2013 einen Rundgang (sorry, ladies only) durch die Ausstellung  „Das schwache Geschlecht“. Schon im Vorfeld fühlten sie die Temperatur in der Ausstellung. Wie aktuell finden die Besucherinnen und Besucher das Thema? Welche Werke haben sie angesprochen? An welchen haben sie sich gerieben? 

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Yuri Lupi (16), Gymnasiast, aus Mendrisio

„Ich bin im Rahmen einer organisierten Gruppenreise ins Kunstmuseum gekommen. Mir gefällt die Arbeit „Crying Men“ (2002-2004) von Sam Taylor-Johnson. Besonders das Porträt von Lawrence Fishburne drückt für mich ganz viele Emotionen aus. Dass es Schauspieler sind, die da weinen, stört mich nicht. Wenn die Gefühle nur gespielt sind, dann sind sie sehr gut gespielt. Ob moderne Männer weinen dürfen? Si, non c’è problema!“

 

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Barbara Mosca (59), Managerin der Sommerakademie im Zentrum Paul Klee, aus Bern

„Ich schaute mir gerade die Arbeit von Adrian Piper „The Mything Being“ (1973) an. Ich finde es ein spannendes Experiment, wenn eine Frau in eine Männerrolle schlüpft. Mir ist dabei eingefallen, dass ich immer nur Mädchen gespielt habe in Schultheatern.
Ich finde diese Ausstellung wichtig und nötig. Die Gender-Frage ist noch lange nicht gelöst. Leider dreht sich die Spirale zurück. Dass wir heute wieder über Sinn und Zweck von Tagesschulen oder über Frauen am Herd diskutieren müssen, ist ein Rückschritt. Ich gehe jetzt aber tatsächlich an den Herd (lacht). Es gibt Schweinekoteletts. Nein, schreibt das nicht. Es gibt natürlich Lamm.“

 

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Anne Davies, Liz Hopkins (in den Sixties), im Unruhestand, gebürtige Engländerinnen aus Genf

Liz Hopkins: „Als ich in die Ausstellung reinkam, sah ich sogleich die Videoarbeit „down“ (2013) von Ursula Palla. Ich dachte zuerst, es handle sich um ein Still, weil der Mann im Video mit geschlossenen Augen gerade innehielt.“

Anne Davies: „Auch ich bin von dieser Arbeit stark fasziniert. Der Kontrast zwischen dem aggressiven Helm und dem zarten Blick des Fahrers hat mich beeindruckt. Er bereitet sich vor auf eine typisch männliche Rolle, aber die Kamera fängt auch eine weichere Seite von ihm ein. Ich sehe vor allem seine Verletzlichkeit. Hat das mit unserem Alter zu tun? Dass man eher die Schwächen sieht?“

Liz Hopkins: „Vielleicht liegt es daran, dass dieses Video schwarzweiss ist. Nichts lenkt ab, man ist fokussierter.“

 

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Mary Ahern (in den Sixties), im Unruhestand, gebürtige Engländerin aus Genf

„Ich liebe die Arbeit „Fears“ (2006/07) von Nedko Solakov. Ich dachte, er sei Engländer, sein Englisch ist so gut und sein Humor erinnert mich an Monty Python. Es geht ihm um die menschliche Bestimmung, die tragisch ist. Aber weil der Künstler seine bittere Pille mit so viel Humor und in einer märchenhaften Erzählweise serviert, macht er es uns einfacher, sie zu schlucken.“

 

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Pascal Rieser (24), Germanistikstudent im Zivildienst, aus Frauenfeld

„Ich kam hierhin, weil ich dachte, Männlichkeit würde in dieser Ausstellung dargestellt. In Wahrheit wird hier Männlichkeit aufgelöst. So geht der Mann unter (lacht)! Im Ernst, ich finde die Schau schon sehr einseitig. Die Helden, das Archaische, das fehlt ganz und gar. Ich bin auch erstaunt, wie viele Frauen hier Männer darstellen. Mir gefällt aber die Arbeit von Costa Vece „Me as a Revoultionary, Dictator, Guerilla, Freedom Fighter, Terrorist, Jesus Christ“ (2007). Der Künstler beweist Humor.“

 

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Irène Gerber (64), Sozialpädagogin, aus dem Emmental

„Mir gefällt der Paravent von Silvie Zürcher sowie ihre Fotoserie „I Wanna Be an Son“ (2005/06“). Ich dachte erst, es handle sich um einen jungen Mann, dabei hat sie ihr Gesicht auf Männerkörper geklebt. Es ist faszinierend, wie vertauschbar Männlichkeit und Weiblichkeit sind. Mit meiner Begleiterin habe ich mich gerade darüber unterhalten, ob es das Gesicht oder der Körper ist, der Männlichkeit definiert. Für mich ist es eher das Gesicht, für meine Freundin der Körper.“

 

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Jeannette Büsser (61), Kindergärtnerin und Märchenerzählerin, aus Laufen

„Mir gefällt die Schau als Ganzes. Besonders gut finde ich, dass sich auch Frauen beteiligt haben, das Männerbild zu gestalten.
Es ist an der Zeit, dass sich nicht nur die Frauen mit sich selbst auseinandersetzen, sondern auch die Männer. Was bedeutet es, Vater oder Sohn zu sein? In dieser Ausstellung sieht man wunderbar, dass die alten Muster noch nachwirken, aber nicht mehr standhalten.“

 

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Gipin Varghese (33), Artist in Residence in Luzern, aus Kerala (Indien)

„Ich bin hier, weil ich mir als Artist in Residence alle grösseren Institutionen des Landes ansehen will. Es ist sehr erfrischend, was ich hier sehe. Mir gefällt „Crying Men“ (2002-2004) von Sam Taylor-Johnson ausserordentlich gut. Das Genderthema ist auch in Indien aktuell, doch viele indische Künstler kopieren einfach, was sie im Westen sehen. Auch ich lasse mich gerne inspirieren, aber ich schöpfe bei meinen Zeichnungen auch aus der indischen Tradition und versuche, diese in einen neuen Kontext zu setzen.“

 

Und was haben die Kultussen zu sagen?

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Die Kultusse (37), Kulturjournalistin, aus Bern

„Mir gefällt am besten „I Don’t Live Here Anymore“ (1998) von Ugo Rondinone. Die roten High-Fashion-Bilder auf rotem Hintergrund haben mich sofort verführt. Das will der Künstler wohl auch. Doch etwas an dem Model irritiert. Dadurch, dass Rondinone sein eigenes wunderschön androgynes Gesicht auf einen dürren Frauenkörper montiert hat, verwischen die Geschlechter und die Ästhetik der Hochglanzmagazine wird subversiv unterlaufen. Was ist schön? Was ist weiblich? Rondinone schwelgt im Glamour und kritisiert ihn zugleich. Eine ambivalente Position, die mich an Federico Fellinis Reporter in „Dolce Vita“ erinnert.“

 

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Die Kultusse (32), Kulturjournalistin, aus Bern

„In der Ausstellung selbst irritierten mich Sarah Lucas’ „Self-Portraits“ (1990-1998, 1999). Mir gefiel der abgebildete Mann und dann stellte ich fest, dass es sich um die Künstlerin handelt. Eine machoide Pose, ein ungeschminktes Gesicht – es braucht wenig, um mit Erwartungshaltungen zu brechen. Zu Hause grübelte ich aber vor allem über die Skulptur „The Overman“ (2012) von littlewhitehead. Aufgrund von Abbildungen hatte ich sie mit viel grösser vorgestellt, dabei reicht mir die Schaufensterpuppe nur bis zum Knie. Und plötzlich dachte ich: Es ist wohl nicht leicht als Mann, wenn man immer Übergrösse beweisen sollte.“

 

Veröffentlicht unter Gastbeitrag
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Die beiden Journalistinnen schreiben über die Berner Kulturszene - auf ihrem Blog «Die Kultussen» und zur Abwechslung auch einmal hier auf dem Kunstmuseum Bern Blog.

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