Publiziert am 17. April 2015 von Daniel Spanke

Der weggesperrte Gubler – Die Werke der letzten vier Jahre in unserer Ausstellung

Eine Besonderheit unserer Ausstellung „Max Gubler. Ein Lebenswerk“  stellen Gemälde des Künstlers dar, die er in seinen letzten vier Schaffensjahren von 1958 bis 1961 gemalt hat, als er psychiatrisch hospitalisiert wurde. Diese Werke, insgesamt entstanden während dieser Zeit immerhin 360 Arbeiten, wurden von den Rechtsbevollmächtigten des Künstlers für die Öffentlichkeit und Forschung gesperrt und wurden demzufolge auch nicht in das Werkverzeichnis aufgenommen. Erst vor wenigen Jahren entschloss sich die Eduard, Ernst und Max Gubler- Stiftung diese Werke durch das Kunsthistorikerpaar Bettina Brandt-Claussen und Peter Cornelius Claussen erforschen zu lassen und damit für die Öffentlichkeit vorzubereiten. Die Ausstellung „Der andere Gubler. Das unbekannte Spätwerk“ im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen hat eine Auswahl dieser Werke dann vom 24. Oktober 2014 bis zum  8. Februar 2015 unmittelbar vor unserer Ausstellung in Bern gezeigt. Für Beat Stutzer und mich, die wir die Berner Gubler-Retrospektive kuratieren sollten, bestand also die Schwierigkeit, wichtige Werke unserer Schau erst sehr spät überhaupt kennenzulernen.

Die medizinischen Ereignisse, die zur Hospitalisierung Max Gublers führten, wurden von der Umgebung des Künstlers – dazu gehörte massgeblich auch dessen langjähriger Mentor und Freund, Gotthardt Jedlicka, Professor für Kunstgesichte an der Universität Zürich – offensichtlich als so erschreckend empfunden, dass man die in dieser Krisenphase entstandenen Kunstwerken vor allem unter dem Signum der Krankheit und des Kranken sehen konnte. Deshalb meinte man, sie der Öffentlichkeit vorerst nicht zumuten zu können. Sie wurden sorgfältig bewahrt.

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Max Gubler, Grosses Profil Maria Gublers mit Aufschrift (GOTT HILF UNS), 1959. Öl auf Leinwand, 130 x 162 cm, Privatbesitz. © Eduard, Ernst und Max Gubler-Stiftung, Zürich

Die Ausstellung in Schaffhausen, anlässlich der die Öffentlichkeit und die breitere Forschung erstmals Gelegenheit hatte, diese Werke zu sehen, war für Beat Stutzer und mich eine Überraschung und Erleichterung zugleich. Es gab in dieser ersten Werkauswahl des spätesten Gubler-Werkes durchaus schwächere Arbeiten, bei denen wir uns einig waren, sie nicht in unsere Schau einzubeziehen. Doch im Grossen und Ganzen zeigte sich ein Künstler, der noch einmal sehr intensiv mit den Möglichkeiten der Malerei ringt und dies auf der Höhe der damaligen Zeit der späten 1950er Jahre. Anklänge an tachistische und informelle Maler mit ihrem heftigen Gestus sind unverkennbar. Diese neue Malerei wurde aus Frankreich kommend damals überall in Europa stark diskutiert und wahrgenommen. Insofern ist die drastische Entscheidung der Umgebung Max Gublers, diese sehr ausdrucksstraken Arbeiten zu verbergen, vom künstlerischen Standpunkt heute nur noch schwer nachzuvollziehen. Im Nachhinein kann man sagen, dass dieser Schritt wohl auch damit zu tun hatte, dass sich ein Künstler mit seinen ureigenen Mitteln aus der Deutungshoheit seiner bisherigen Interpretation herausgearbeitet hat. Gerade Gotthard Jedlicka, dem das Verdienst der Entdeckung und Förderung Max Gublers zukommt, war eher Kunstidealen verpflichtet, die das Bewältigende, Schönheitliche und Virtuose der Malerei Gublers, die sich an dessen Gemälden der 1920er und 1930er Jahren in Italien und Paris entwickeln liess, in den Vordergrund stellte. Wie sehr sich Max Gubler immer schon der Fragwürdigkeit und Unsicherheit des Sichtbaren ausgesetzt gefühlt hat, bleibt in dieser Sichtweise unterentwickelt. Deutlich aber ist in der Überschau, die eben erst jetzt möglich ist, dass Gubler sich der Wirklichkeit der Welt nie so sicher war. Sein Malen scheint für ihn eine Handlungsweise gewesen zu sein, die Dinge im Bild gleichsam zu bannen, herzustellen und sich ihrer so zu bestätigen. Diesen Beschwörungsprozess kann man den Bildern und den Spuren ihrer Entstehung auch ablesen. Gubler hat seine zeitgenössischen Interpreten schon ab etwa 1950 gleichsam malerisch überholt. Arnold Rüdlinger, legendärer Chef der Berner Kunsthalle, erkannte das Potential gerade der späteren Arbeiten als einer der wenigen und scheiterte leider mit seinem Vorstoss, den im Ausland ganz unbekannten und oft traditionsorientiert wirkenden Gubler auf die documenta II 1959 zu bringen.

Dass sein Malen für Gubler mehr als eine professionelle Beschäftigung war, sondern existentielle Bedeutung hatte, sieht man auch daran, dass er sich manche Motive wie unter einem Maldruck mehrfach in Serien bis zu zwölfmal vornahm. Es ist diese existentielle Bedeutung des Malens für Gubler, die seine Malerei heute immer noch interessant wirken lässt.

Zu unserer nächsten Ausstellung „Stein aus Licht. Kristallvisionen in der Kunst“ schlagen einige vor allem späte Werke Max Gublers eine Brücke. Auch für Max Gubler war eine Durchkristallisierung der Sichtbaren Welt verstärkt ab den 1950er Jahren eine Strategie, die Dinge darstellen und sich ihrer im Bild versichern zu können.

Veröffentlicht unter Experten am Werk
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Daniel Spanke

Seit 2012 ist Daniel Spanke Kurator für Ausstellungen am Kunstmuseum Bern. Davor war er unter anderem Leiter der Kunsthalle Wilhelmshaven, Kurator des Kunstmuseum Stuttgart und von 2010-2012 Leiter Museum Haus Dix in Hemmenhofen.

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