Publiziert am 22. März 2018 von Nikola Doll

Dem Leben der Bilder auf der Spur

Die Abteilung Provenienzforschung im Kunstmuseum Bern

 

Mit dem «Kunstfund Gurlitt» und den daraus entstandenen Ausstellungen «Bestandsaufnahme Gurlitt» hat die Erforschung der Herkunft von Bildern und Objekten in Museumssammlungen wieder an Aktualität gewonnen. Aber auch in den bestehenden Beständen vieler Museen gibt es Werke, deren Weg in die Sammlung noch nicht aufgeklärt ist. Das Kunstmuseum Bern erforscht in diesem Rahmen seine Werke und die Archive und geht so der Geschichte der eigenen Sammlung nach.

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Vorder- und Rückseite “Bildnis Maschka Mueller”. Otto Mueller, Bildnis Maschka Mueller 1924/25, Leimfarbe auf Rupfen, doubliert, 96 x 69 cm. Kunstmuseum Bern, Legat Cornelius Gurlitt 2014

Unter Provenienzforschung versteht man die Rekonstruktion der Geschichte von Kunstwerken und Artefakten. Obschon die Beschäftigung mit der Herkunft von Sammlungsbeständen seit dem 19. Jahrhundert Teil der Museumstätigkeit ist, ist dieser Aufgabenbereich als eigenständige Disziplin noch relativ jung. Den Anstoss für diese neue Bewertung der Provenienzforschung gab die Konferenz über Holocaust-Vermögenswerte, die im Dezember 1998 in Washington, D.C., tagte. Dort wurden elf Prinzipien formuliert, die zur Lösung offener Fragen und Probleme des nationalsozialistischen Kunstraubes beitragen sollten. Seither sind Museen, Archive und Bibliotheken aufgefordert, ihre Sammlungen auf vorhandenes, verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut zu überprüfen.

Untersucht werden alle Sammlungseingänge, die in den Jahren 1933 bis 1945 einen Handwechsel, also einen Besitzerwechsel aufweisen. Durch die intensive Beschäftigung mit den Werken in materieller Hinsicht und die systematische Recherche von historischen Quellen wird ermittelt, in wessen Besitz sich ein Werk befunden hat und wie es ins Museum gelangte. Ziel ist das Schliessen von Provenienzlücken, das Erkennen ungesetzlicher Besitzwechsel und die Rückgabe von ns-verfolgungsbedingt entzogenen Werken an ihre rechtmässigen Eigentümer.

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Detailaufnahmen der Rückseite Bildnis Maschka Mueller, 1924/25

Die Schweiz hat die Washington Principles für die museale Sammelkultur anerkannt. Jetzt, infolge der Erbschaft des Nachlasses des Kurators und Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt (1895–1956), ist die Überprüfung der Sammlungen auf die Agenda des Kunstmuseum Bern gerückt. Zwanzig Jahre nach der Verabschiedung der elf Grundsätze ist die historische wie moralische Verpflichtung zur Erforschung der Sammlungsbestände und zur Veröffentlichung der Provenienzen umso drängender, gerade für Werke aus ehemals jüdischem Besitz und auch heutigen Neuerwerbungen für die Sammlung des Kunstmuseum Bern.

Dank der finanziellen Unterstützung des Bundesamtes für Kultur und privater Geldgeber ist es nun möglich, die Sammlung des Kunstmuseum Bern erforschen zu können. Ein wichtiger Bestandteil ist dabei die Veröffentlichung der Provenienzen und die Vermittlung der Forschungsergebnisse in Form von Ausstellungen, Führungen und Workshops. Erste Ansätze zeigen die beiden Ausstellungen «Bestandsaufnahme Gurlitt», bei denen die Herkunft und die Erwerbungsarten der Werke im «Kunstfund Gurlitt» für die Konzeption leitend waren.

Die Ausstellungen zeigen, dass Provenienzforschung längst nicht mehr nur eine Sonderaufgabe angesichts der historischen Verantwortung für die Verfolgung und Ausplünderung der europäischen Juden während des Nationalsozialismus ist. Die Kenntnis der Herkunft der Kunstwerke zählt zu den zentralen Wissensbeständen eines jeden Museums. Eine Bestandsaufnahme im Sinne einer Werkautopsie ist vielschichtig; sie berührt künstlerisch-ästhetische wie materielle Ebenen, verbindet biografische mit kunstsoziologischen Fragen, die Geschichte des Sammelns und der von Wissenschaft und Kunstmarkt abhängigen Kanonbildung. Die Ergebnisse einer Bestandsprüfung bereichern den Bedeutungsreichtum eines jeden einzelnen Objektes. Das Bewusstsein für die Geschichtlichkeit eines Kunstwerkes oder einer Sammlung fordert unser kulturelles Selbstverständnis immer wieder neu heraus und kann – das zeigen die aktuellen Debatten um archäologische und ethnologische Artefakte in den europäischen Museen – für die Museen produktiv wirken, indem sie uns mit der Geschichte kultureller Institutionen und den Grundlagen des Sammelns konfrontieren.

Der zweite Teil der Ausstellung «Bestandsaufnahme Gurlitt Teil 2: Der NS-Kunstraub und die Folgen» eröffnet am 18.04.2018. Die Werke des ersten Teils der Ausstellung sind online einsehbar

 

Veröffentlicht unter Allgemein, Blick hinter die Kulissen
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Autor

Nikola Doll

Nikola Doll ist Kunst- und Zeithistorikerin. Seit Mai 2017 leitet sie die Abteilung Provenienzforschung am Kunstmuseum Bern und ist Kuratorin der zweiteiligen Ausstellung «Bestandsaufnahme Gurlitt».

Kommentare

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1 Kommentar

Kurt und Gertrud Sieber, Freienbach/SZ
Mittwoch, 13. November 2019, 11:45

Wir wollten unseren Ruisdael verkaufen, konnten aber nicht beweisen, dass es keine
Raubkunst ist.