Publiziert am 11. Oktober 2013 von Daniel Spanke

Das starke Geschlecht im Kunstmuseum Bern: die Sturmfrau Germaine Richier

Zur Zeit schlägt nicht nur das schwache Geschlecht im Kunstmuseum Bern höher werdende Wellen, sondern auch das starke. Parallel zur Ausstellung meiner Kollegin Kathleen Bühler kommt eine weitere Ausstellung in Sichtweite, die wir auch schon Ende November eröffnen: «Germaine Richier – Die Sturmfrau».

Germaine Richier gehörte zu den Künstlerinnen, die es in ihrer Generation noch definitiv schwerer hatten als ihre männlichen Kollegen. Erschwerend kommt hinzu, dass sie Bildhauerin war, ein Metier, das grossen körperlichen Einsatz fordert, was als eher „typisch männliche“ Domäne gilt. Mühsam und gegen manche Vorurteile, die uns zuweilen in zeitgenössischen Rezensionen ihrer Ausstellungen entgegenschlagen, hat sich Germaine Richier ihre Freiheit als Künstlerin zweifellos härter erkämpfen müssen als ihre männlichen Kollegen.

Zur Frage, inwieweit ihr Geschlecht ihre Kunst auch in Ausdruck und Inhalt bestimmt, hat sich Germaine Richier selbst nicht geäussert. Dennoch hat sie weibliche Wesen in einer Weise dargestellt, die in der bis dahin männlich dominierten Kunst bisher noch nie vorkam. So zeigt sie in ihrer Plastik „Die Sturmfrau“, „L’Ouragane“, eine nackte Frau, durchwaltet von den Kräften der Natur, ohne mit einem männlichen Betrachter und seinen Affekten zu rechnen. Wie angewurzelt steht sie da, ganz auf sich konzentriert, als ob sie dem Wirken grosser Mächte standhalten müsste. Erotische Ausstrahlung spielt gerade in der französischen Kulturtradition bis weit in das 20. Jahrhundert hinein eine grosse Rolle. Diese Nachfahrin „vormütterlicher“ Sturmgöttinnen ist jedoch keine Herrin der Elemente, keine Femme fatale, die ihre Wirkung nur im Hinblick auf einen Mann entfalten würde, sondern vor allem ist sie selbst dem Erlebnis des Sturms ausgesetzt.

Germaine  Richier, L'Ouragane, 1948/49, Bronze, 179 x 71 x 47 cm. Foto: Brassaï, Coll. F. Guiter © Germaine Richier, ADAGP, Paris, 2013 - 2014.

Germaine Richier, L’Ouragane, 1948/49, Bronze, 179 x 71 x 47 cm.
Foto: Brassaï, Coll. F. Guiter © Germaine Richier, ADAGP, Paris, 2013 – 2014.

In anderen Plastiken kombiniert Richier Frauenkörper mit Tierleibern. Sie knüpft damit einerseits an antike Mischwesen, wie Kentaurinnen, Sphinxen oder Meeresnymphen, an. Und zugleich geht sie ganz neue Pfade, weil Ameisinnen, Gottesanbeterinnen und Heuschreckenfrauen mit ihrer Kindheit in der Provence, der Landschaft und ihren Legenden verbunden sein mögen, aber in der Megacity Paris, in der sie zumeist arbeitete, doch eher eine einsame und private Mythologie begründen. Erstmals vielleicht in der Geschichte der Plastik stehen Frauenfiguren für Erfahrungen des Menschlichen schlechthin, wo bisher immer Mann und Mensch gleichgesetzt wurden. Dem allen geht die Ausstellung nach.

Germaine Richier, La Fourmi

Germaine Richier, La Fourmi, Bronze, 99 x 88 x 66 cm.
Foto: Thierry Dehesdin, archives F. Guiter © Germaine Richier, ADAGP, Paris 2013‐2014.

Ich würde mich sehr freuen, wenn unsere Besucher beide Ausstellungen, „Das schwache Geschlecht“ im Erdgeschoss und „Die Sturmfrau“ im Obergeschoss unseres Neubaus in einen Dialog bringen. Denn das Kräfteverhältnis der Geschlechter ist in unserer Gesellschaft immer noch eine offene Baustelle und sie ist in Bewegung. Das zeigt Kathleen Bühlers provokative Benennung ihres Projektes und das zeigt der völlig eigenständige, aber auch einsame Weg einer so bedeutenden Künstlerin wie Germaine Richier. Mein Tipp also: planen Sie unbedingt einen Besuch beider Ausstellungen zusammen ein.

Veröffentlicht unter Experten am Werk
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Autor

Daniel Spanke

Seit 2012 ist Daniel Spanke Kurator für Ausstellungen am Kunstmuseum Bern. Davor war er unter anderem Leiter der Kunsthalle Wilhelmshaven, Kurator des Kunstmuseum Stuttgart und von 2010-2012 Leiter Museum Haus Dix in Hemmenhofen.

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