Publiziert am 11. Juli 2014 von Daniel Spanke

BKG on Tour

Früh morgens ging es mit dem Car der Firma Dysli auf der Schützenmatt los. Holger Hoffmann, frischer Präsident der BKG, hatte uns dankenswerterweise eine Reise angerichtet, die reich an Nahrhaftem war, uns aber immer auch genug Bewegung verschaffte. Sicher brachte uns der Bus mit etwa einstündiger Verspätung, die einem Stau anzulasten war, in Karlsruhe an. Schon etwas ungeduldig erwartete uns dort Gerhard Johann Lischka, der in Österreich geborene Kultur- und Medienphilosoph, der mittlerweile als echter Berner gelten darf. Der nur bei seinem nom de guerre „Lischka“ Gerufene darf als wichtige Quelle für jene Zeit der legendären 1960er, 70er und auch noch 80er in Bern gelten, als die Aarestadt als eine Art europäisches San Francisco durchging, Harald Szeemann, Peter Weibel, Meret Oppenheim das Terrain aufmischten und Züri noch eher Bern Ost war als umgekehrt. So präsentierte Lischka uns persönlich durch eine als Ausstellung firmierende Verdichtung vom memoriae lischkensis bernae mit dem Titel „Present Mind“ im ZKM, dem baden-württembergischen Zentrum für Kunst und Medientechnologie – allerdings: sein persönliches Beziehungsnetz und auch Vergangenes machte Lischka derart present mind, derart geistesgewärtig, dass unsere Synapsen so fröhlich funkten wie einst in Bern: „Alles und noch viel mehr!“, wie sein vielbeachtetes Vademecum zur zeitgenössischen Kunst der 1980er Jahre heisst.

bkg_3

Prof. Dr. h.c. mult. Peter Weibel in action mit BKG im ZKM

Peter Weibel, früher Performancekünstler, Medienwissenschaftler und einer von Lischkas Busenfreunden, hätte es gefallen. Der Direktor des ZKM, in Bern ab und an ebenfalls höchst präsent, führte uns anschliessend durch die Ausstellung mit Werken aus der Sammlung Julia Stoschek, Düsseldorf: „High Performance“. Einige der Arbeiten entstanden dabei erst durch Forschungen am ZKM, wie eine 10 Jahr alte lippensynchrone Sprechersimulation eines Nachrichtentextes. Einer Arbeit mit einem genetisch wiedererstandenen Lebendohr Vincent van Goghs, ebenfalls ein Produkt aus den ZKM-Laboratorien, wo die Zukunft schon heute gemacht wird, drehte Peter Weibel kurzerhand den tinnitusartig sirrenden Nährlösungsmotor (Herz) ab, bevor man dem holländischen Meister noch Vieles hätte sagen können. Der Abend in Karlsruhe klang gemütlich, geschmack- und stilvoll im Schlosshotel gegenüber dem schönen Karlsruher Jahrhundertwendebahnhof aus.

bkg_2

Die BKG freut sich in Strassburg an Daniel Burens Installation „Comme un jeu d‘enfant“

Der nächste Tag liess Lischka leider vermissen. Es ging nach Baden-Baden, wo uns im Kurpark nebeneinander zwei Häuser erwarteten: das eine neueste Architektur von Richard Meier mit einer Sammlung eines gewichtigen Sammlers – das Museum Frieder Burda; das andere ehrwürdiges grossherzoglich-badisches neuzwanzigstes Jahrhundert mit einem der pfiffigsten Direktorenkuratoren der Bundesrepublik – die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden unter Jan Holten. Ich muss gestehen – die Ausstellung „JR“ im Museum Frieder Burda hat mich überrascht, und zwar positiv. Ich hegte Vorbehalte, ob es möglich sei und gelingen kann, einen „street art“-Künstler vulgo Graffitisprayer museale Weihen zu verleihen und so nicht ein zentraler, wichtiger Teil der Strassenkultur, zu der auch die Illegalität gehört, verloren geht oder korrumpiert wird. Man darf glaube ich sagen, in diesem Falle nicht. JR, der anonym bleibt, sprayte übrigens nur am Anfang und ging dann ganz zu so genannten paste-ups, auf Wände geklebten Plakaten, über. In einem beeindruckenden Film war ein Projekt in einem der Favelas Rios zu sehen, mit dem er den Menschen, die dort lebten, Sichtbarkeit verlieh. Ihre Stadt, ihre Häuser blickten mit den Gesichtern der Bewohner zurück. Dabei ist die Sozialkritik JRs verstörend schwer politisch einzuordnen: weder anklagend links, noch bemitleidend konservativ behandelt JR die Menschen einfach mit Respekt und schafft vor Ort etwas Bemerkenswertes, worauf viele Bewohner stolz zu sein schienen. Eine Favela könnte nun auch für Touristen einen Besuch wert sein. Der Wohnstandard in einem Schweizer Vorort mag immer noch sehr viel höher sein, dennoch zeigte der Film JRs, dass die Menschen in der Favela ihr auch immer ganz normales Leben leben. Missstände und Gewalt wurden nicht ausgeklammert, aber es ist eine Sache die Armen nur zu bemitleiden und eine andere ihnen das Recht einzuräumen, uns auf Augenhöhe zu begegnen. Das funktioniert auch im Museum mit seiner starken Ästhetisierung. Fazit: Sehens- und diskutierenswert!

Die Ausstellung in der Kunsthalle nebenan war dem Hotel als Thema der Kunst gewidmet: „Room service“. Wir diskutierten besonders angeregt über einen Raum, in dem Fotos von Thomas Gursky, Candida Höfer solchen von Bauruinen eines amerikanischen Künstlers gegenüber gestellt waren. In umliegenden Hotels waren weitere Werke auf eigene Faust zu entdecken, was der Ausstellung zusätzlich Reiz und Tiefe verlieh.

bkg_1

Vor dem Museum Frieder Burda und der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden

Anschliessend ging es bei strahlendem Wetter nach Strassburg zu Daniel Buren ins Musée d‘Art moderne et contemporain. Buren gehört zu den schärfsten und besten Kritikern des Museumsbetriebs und so ist eine Ausstellung von ihm für jedes Haus immer eine Herausforderung. In diesem Falle schien Buren mittlerweile milde gestimmt gewesen zu sein, erfreute er uns doch mit kirchenfensterartig bunten Folienbeklebung abwechslend mit den bekannten Streifen in der Glashalle. Im grossen Erdgeschosssaal des Museums fanden wir uns in einer riesenhaften Bauklotzstadt wieder, deren eine Hälfte in blendendem Weiss mit schwarzen Streifen und deren andere Hälfte fröhlich bunt mit schwarzen Streifen leuchtete. Die Besucher sammelten sich schnell im Bunten und liessen das Weisse zurück. Der extrem wahrnehmungssensible Buren steuert uns gerade auch dann, wenn wir alle schon kunstgläubig geworden sind wie die Kinder. Für einige BKGler war ein Besuch des ewigen Strassburger Münsters dann ein kleiner Ausgleich zu so viel Zeitgenössischem. Am Abend sicher und komfortabel wieder in Bern abgekommen war es eine Reise voll von Kunsterlebnissen und schönen menschlichen Begegnungen. Wer nicht dabei war, hat etwas verpasst!

Veröffentlicht unter Experten am Werk
Schlagwörter: ,

Autor

Daniel Spanke

Seit 2012 ist Daniel Spanke Kurator für Ausstellungen am Kunstmuseum Bern. Davor war er unter anderem Leiter der Kunsthalle Wilhelmshaven, Kurator des Kunstmuseum Stuttgart und von 2010-2012 Leiter Museum Haus Dix in Hemmenhofen.

Kommentare

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Bitte füllen Sie alle Felder aus.

Time limit is exhausted. Please reload the CAPTCHA.

Keine Kommentare