Publiziert am 21. Februar 2020 von Valentina Shasivari

Alles zerfällt: Werke im Fokus #2 – Albert de Meuron, Rast der Gemsjäger

Die Texte in dieser Blog-Reihe nehmen ausgewählte Werke ins Visier, die derzeit im Rahmen der Ausstellung Alles zerfällt. Schweizer Kunst von Böcklin bis Vallotton im Kunstmuseum Bern zu sehen sind. Sie erscheinen in loser Folge während der Laufzeit der Ausstellung. Mit der Idee, fortgeschrittene Studierende der Kunstgeschichte der Universität Bern sowie junge Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker zu Textbeiträgen einzuladen, soll die Diskussion über die Themen (und Thesen) der Ausstellung angefacht und weiterentwickelt werden. Die Schreibenden erläutern die Kunstwerke, befragen sie aber auch und schlagen neue Lesarten vor. Dabei wird deutlich, dass die Sammlung des Kunstmuseums Bern keine statische Masse ist, sondern ein gewaltiger und dynamischer Speicher, dessen versteckte Geschichten freigelegt werden, sobald man anfängt, sie aktiv zu erforschen.

Albert de Meuron, Rast der Gemsjäger, 1854/55, Öl auf Leinwand, 95 x 111,5 cm. Kunstmuseum Bern, Legat Karl Fr. von Pourtalès

Albert de Meuron, Rast der Gemsjäger, 1854/55, Öl auf Leinwand, 95 x 111,5 cm. Kunstmuseum Bern, Legat Karl Fr. von Pourtalès

Albert de Meuron, Rast der Gemsjäger, 1854/55 

Die Szene auf dem Gemälde Rast der Gemsjäger des Neuenburger Malers Albert de Meuron (1823–1897) spielt sich in einer felsigen Gebirgslandschaft ab. Die glatten Felsplatten, auf denen sich die drei Jäger für die Rast niederlassen, sind von spitzen Felsformationen und steilen Felswänden umgeben, so dass die Felslandschaft als eine naturgewachsene Arena erscheint. Während die Berglandschaft im Hintergrund hinter dunklen Wolken zu verschwinden droht, steht der Schauplatz des Geschehens noch unter den letzten Strahlen einer getrübten Sonne. Die Jäger scheinen am Ende eines schwierigen Unterfangens zu stehen: Eine wohl soeben erlegte Gemse liegt zwischen den Jägern. Während sich der eine am Bergsee erfrischt, erholt sich der ältere Jäger auf den sonnenerwärmten Felsen. Der mit der Flinte bewaffnete Jüngling steht aufrecht da und schaut nachdenklich in die Ferne, als würde er bereits nach der nächsten Beute Ausschau halten.

Die Gemsenjagd gilt ab dem frühen 18. Jahrhundert als typisch für die Alpenregion der Schweiz. Der Mut der Gemsjäger wurde in zahlreichen Volksliedern besungen und auch Albrecht von Haller lobte ihre «List und Wachsamkeit» in seinem berühmten Gedicht Die Alpen von 1729. Die Gemsenjagd wurde zur folkloristischen Heldentat hochstilisiert, durch die sich das männliche Subjekt gegen alle Widerstände der Natur bewährte. So scheint der Knabe in de Meurons Gemälde diesen männlichen Initiationsritus bestanden zu haben. Er steht in der Mitte des Bildes, selbstbewusst auf die Flinte gestützt, mit der er das Tier erlegt hat. Der Moment des Triumphes scheint hier aber wenig zur Geltung zu kommen. Denn die zwei älteren Jäger, die diesen Augenblick bezeugen könnten, sind zu ermattet und ausgedurstet, um dem Jüngling die gebührende Anerkennung zuteilwerden zu lassen. Mehr als ein Bild eines Sieges über die Natur ist die Rast der Gemsjäger ein Moment geistiger Abwesenheit, der Überwältigung und des Zurückgeworfenseins auf die natürlichen Bedürfnisse des menschlichen Körpers. Die Landschaft, in die De Meuron seinen jungen Gemsjäger einbettet, verstärkt den Eindruck dieses allgemeinen Zustandes: Sie ist keine typische, idyllische Alpenlandschaft, vielmehr ähnelt sie einer endlosen, unwirtlichen Felswüste, die die Jäger ans Ende ihrer Kräfte bringt.

Die Hintergrundkulisse wirkt ebenso bedrohlich. Zur Hälfte durch die steile Felswand verdeckt, bleibt den Jägern die Sicht in die Weite versperrt. Sie wirken in ihrer felsigen Arena eingekesselt, während von der rechten Bildhälfte langsam die Wolken einbrechen. Die Jäger scheinen noch einen weiten Weg vor sich zu haben, während das Tageslicht knapp wird. Zwar lässt die Lichtgestaltung des Gemäldes die Jäger auf ihrer kargen Felsbühne noch einmal unter den letzten Strahlen der Sonne im Rampenlicht erscheinen. Der letzte, direkt einfallende Sonnenstrahl gilt jedoch nicht etwa dem frisch gekürten Helden der Alpen, sondern geht knapp an ihm vorbei, und gilt seiner Beute, deren ausdrucklose Augen den Betrachtenden anstarren. Der Fokus des Bildes verschiebt sich so von den Jägern zum Gejagten, vom Helden zu dessen Opfer. Die tot daliegende Gemse, deren Gesicht als einziges dem Betrachter zugewandt ist, wird zum Angelpunkt der Darstellung und verleiht dem alpinen Heldenepos etwas Absurdes und Banales zugleich.

Albert de Meuron
Geboren 1823 in Neuchâtel, gestorben 1897 in Neuchâtel. Er wurde von seinem Vater zum Maler ausgebildet bevor er seine Ausbildung in Düsseldorf fortsetzt. Später lässt er sich im Berner Oberland nieder, wo er sich der Landschaftsmalerei widmet.

Veröffentlicht unter Allgemein, Experten am Werk
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Valentina Shasivari

Valentina Shasivari ist Bild- und Sozialanthropologin. Studium der Kunstgeschichte und Sozialanthropologie an der Universität Bern. Masterarbeit zur Erfindung des Trachtenbildes und der Konstruktion der ländlichen Schweiz im 18. Jahrhundert. Daneben kuratiert sie ethnographische Filmreihen und arbeitet mit Film.

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