Publiziert am 15. Oktober 2013 von Kathleen Bühler

Endo ergo sum

Bern hat eine unglaublich reiche Tradition an Sängern und Liedermachern, welche irgendwo bei Walther von der Vogelweide beginnt und dann über Mani Matter, Polo Hofer, Kuno Lauener (Züri West), Endo Anaconda (Stiller Has) zu Jürg Halter (Kutti MC) und Steffe la Cheffe führt. Voller Neid beäugen die Nicht-Berner (wie ich) diese Konstellation, welche es den Berner Barden und Bardinnen erlaubt, auch in ihrem hergestammten – zugegeben melodiösen – Idiom Karriere zu machen und helvetische Befindlichkeiten treffsicher abzubilden.

Neben seinem Gesang für Stiller Has, hat sich Endo Anaconda mit seinen Kolumnen als scharf denkender und schreibender Autor einen Namen gemacht. Er karikiert und kombiniert, brandmarkt die Eitelkeiten von Politikern, beleuchtet zeitgenössische Dilemmas und stellt unerbittlich eigene Schwächen bloss. Ich kenne keinen anderen Kolumnisten, der sich derart umfassend mit seiner eigenen Leibesfülle, seiner unkonventionellen Familie, seinen Lastern sowie seinem leicht zu kränkenden Stolz beschäftigt und dafür ständig Lacher auf eigene Kosten in Kauf nimmt. Dabei hat der schlaue und charmante Fuchs natürlich längst erkannt, dass das erotischste Körperteil am Mann sein Gehirn ist und die Fähigkeit, Frauen zum Lachen zu bringen, am meisten Punkte auf der Verführungsskala bringt. Wer wäre also geeigneter, am kommenden Donnerstag unsere Ausstellung «Das schwache Geschlecht» zu eröffnen, um nicht von akademischer Warte, sondern gezeichnet vom eigenen Leben, Einsichten ins Mannsein kundzutun? Wir freuen uns wie die stillen Hasen auf neue literarische Knallbonbons und homerisches Gelächter, wohl wissend, dass der Selbsterkenntnis keine Grenzen gesetzt sind. Denn wie hat es Endo Anaconda so schön auf dem letzten Album mit Stiller Has im Lied „Böses Alter“ (2013) formuliert?

„Bösi alti manne / die hei gäng no d hosen anne / hei zwar kei brot meh, derfür hei sie e ranze / u gspüre ds wätter i de bei / grantigi elteri herre / chöi mit dr zyt bösartig wärde / si gö nume no schnäll ga zigis choufe / u finde nie meh hei /… / ach gott, wär het erbarme / mit üs alte partisane / wirf es schyt i d gluet, wenn i chume / u wenn i gange, zünd e cherzen aa / … / küss mi no einisch / tanz no einisch um mi ume / i wirde sälber so ne böse alte maa.“

andrie

Luc Andrié: Aus der Serie BRUN, Acryl auf Leinwand, je 130 × 80 cm, courtesy Luc Andrié.

Veröffentlicht unter Blick hinter die Kulissen
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Autor

Kathleen Bühler

Kathleen Bühler, Kuratorin und seit 2008 Leiterin der Abteilung Gegenwartskunst am Kunstmuseum Bern. Sie kuratierte unter anderem die Ausstellungen «Merets Funken» (2012), «Das schwache Geschlecht. Neue Mannsbilder in der Kunst» (2013/14) und «Chinese Whispers» (2016).

Kommentare

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6 Kommentare

Peter E. Rytz
Dienstag, 18. November 2014, 13:38

Liebe Frau Bühler,
während ich in Südtirol mit meinem Fotoprojakt “Con la bicicletta a Bolzano” unterwegs war, fand ich in der Tageszeitung DOLOMITEN v. 01.10.14 die “ultimative” Lösung, wer Walther von der Vogelweide zu den Seinen zählen darf. Und das ist Südtirol, Innervogelweiderhof am Lajer Ried! nicht umsonst wacht er auf dem Waltherplatz in Bozen über das Treiben zu seinen Füßen.
Ich habe Ihnen den Artikel kopiert und ihn auf meiner Homepage www.rytz.de (Menue: PhotoProjects) oder direkt auf der o.g. Projektseite unter http://rytz.de/php/web%20bicicletta%20a%20Bolzano%202014/index.html am Ende der Foto-Serie eingefügt.

Herzliche Grüße
Peter E. Rytz

Kunstmuseum Bern
Montag, 11. November 2013, 17:10

Lieber Herr Rytz, Danke für Ihren Kommentar und Ihren Blog-Beitrag. Meinen Sie mit “Direkt-Blogging” die Möglichkeit, direkt einen Beitrag auf unserem Blog zu veröffentlichen? Das bieten wir im Moment nicht an, Artikel lassen sich nur auf Einladung veröffentlichen. Wir freuen uns aber, wenn Sie uns die Links zu Ihrem eigenen Blog wie hier als Kommentar zukommen lassen. Herzliche Grüsse, Christian Schnellmann (Corporate Digital Media, Kunstmuseum Bern)

Peter E. Rytz
Dienstag, 29. Oktober 2013, 11:48

Liebe Frau Bühler,

es gibt zur Ausstellung “Das schwache Geschlecht”, zu der ich meine Kritik auf meinem Blog Peter E. Rytz Review veröffentlicht habe, einen interessanten Counterpart mit der Ausstellung im Strauhof in Zürich “Gruppenbild mit Dame”. Sie kommentiert bzw. leitet, wenn man so will, die von Ihnen kuratierte Ausstellung ein. Ich werde in den nächsten Tagen die Ausstellung “Meret Oppenheim.Retrospektive” in Berlin besuchen. Der Vergleich dieser 3 Ausstellungen könnte mich für eine Kritk reizen…

P.S.
Ich habe auf dem Berner Museums-Blog keine Möglichkeiten gefunden, zum Direkt-Blogging??

Mit herzlichen Grüßen nach Bern

Peter E. Rytz
www.rytz.de
www.erpery.wordpress.com

Daniel Spanke
Freitag, 25. Oktober 2013, 18:14

Liebe Mitbloggerinnen,
wir können da schon etwas präsziser werden: Walther von der Vogelweide wird sicherlich wie man es dreht und wendet kein Vorläufer Anacondas. Aber wie wärs mit dem von Obernburg, der in der Manessischen Liederhandschrift erwähnt und dessen Herkunft in der Nähe von Burgdorf vermutet wird. Daher kommt ja auch Anaconda. Allerdrings ist die Sprache des von Obernburg völlig regionalismenfrei. Daher wird die Ableitung dann auch wieder schwierig. Ach…

Herzliche Grüsse

Daniel Spanke

Kathleen Bühler
Donnerstag, 17. Oktober 2013, 10:21

Liebe Frau Galli-Dejaco, wir im deutschsprachigen Raum müssen zusammen halten, was unsere kulturellen Vorfahren betrifft. Und dass Walther von der Vogelweide österreichische Wurzeln hat, zeigt ihn als wahren Vorläufer von Endo Anaconda. Vielen Dank für Ihre Erläuterungen und herzliche Grüsse, Kathleen Bühler