Publiziert am 7. März 2016 von Kai-Inga Dost

Wovon träumt China? Der neue Topos des «Chinesischen Traums» im heutigen China

In pinkfarbenen Lettern erstrahlen die Worte «China Dream» in einer nächtlichen Szenerie über einem charakterlosen Gebäudekomplex neben einer Autozubringerbrücke in einem der neuesten Gemälde des «Panda-Man» Zhao Bandi, welches in der aktuellen Ausstellung im Zentrum Paul Klee zu sehen ist. Wovon aber handelt der «Chinesische Traum»?  Der «Amerikanische Traum» – vom Tellerwäscher zum Millionär – ist uns bekannt. Seit einigen Jahren hat dieser ein östliches Gegenüber gefunden: Der «Chinesische Traum» wird 2012 geboren, als der amtierende Staatspräsident und Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas Xi Jinping in seiner Antrittsrede vor allem die jüngere Generation auffordert zu «träumen, hart für die Verwirklichung der Träume zu arbeiten und damit zur Belebung der Nation beizutragen». Seither wurde der Terminus immer wieder, vor allem von Journalisten und Regierungsoffiziellen, beschworen. Während der «Amerikanische Traum» vor allem den materiellen Erfolg des Individuums im Sinn hat, beinhaltet die von den chinesischen Parteifunktionären entworfene Idee eine eminente gesellschaftliche Komponente. So steht über der persönlichen Verwirklichung das grosse Ziel, durch die Bestrebungen des Einzelnen eine bessere Gesellschaft zu formieren, mit verbesserten Lebensbedingungen und Wohlstand für alle.

Das Konzept des «Chinesischen Traums» scheint jedoch, auch dies im Unterschied zum «Amerikanischen Traum», ein vielmehr von der Obrigkeit entworfenes und dem Volk auferlegtes Konstrukt zu sein. Darauf deutet das Bestreben von Seiten der Politik, das Konzept in den Schulbüchern zu integrieren, um diese neue Ideologie in den Köpfen der jüngsten Generation zu verankern. Auch kann dies als Ausdruck dessen gedeutet werden, dass Chinas Führung das nach der Zerschlagung der alten Ideologien entstandene Vakuum zu füllen sucht, als Versuch diese Kluft im Spagat zwischen moderner Marktwirtschaft und Kommunismus auszufüllen. Wovon aber träumt das Volk?

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Zhao Bandi, China Lake C, 2015, Acryl auf Leinwand / Acrylic on canvas, 210 × 280 cm. Sigg Collection © Zhao Bandi

In die Köpfe der Menschen können wir auch im 21. Jahrhundert noch nicht schauen (was für ein Glück!). Vermutlich aber unterscheiden die Wünsche der Chinesen sich nicht so sehr von den unseren. Vor allem die neue chinesische Mittelschicht, die in China erst seit etwa 15 Jahren existiert, sehnt sich nach schönen Wohnungen, modernen Kleidern, schicken Autos. Der Wunsch nach Konsumgütern wird von der Regierung durchaus befeuert, kurbelt dieser doch mächtig die heimische Wirtschaft an. Die aktuelle Situation hat Zhao Bandi sehr treffend in einem weiteren Gemälde festgehalten. In China Lake C steht eine Gruppe elegant gekleideter junger Menschen in einem kniehohen See und stösst ausgelassen mit Wein an. Etwaige Gefahren liegen unter der spiegelnden Oberfläche des Wassers verborgen und lassen den Betrachter ein vages, bedrückendes Gefühl von Unsicherheit verspüren. Fast scheint das Bild wie eine Illustration eines Satzes, den der Premier Li Keqiang 2013 in einer Rede zur Verteidigung der angestrebten ökonomischen Reformen formulierte: «Egal wie tief das Wasser sein mag, wir werden in das Wasser schreiten. Denn wir haben keine Alternative.» (But however deep the water may be, we will wade into the water. This is because we have no alternative.)

Jenseits des schnöden Mammons beschäftigen die Bevölkerung aber auch viel existenziellere Bedürfnisse. Hohe Umweltbelastung, knappe Ressourcen und Lebensmittelskandale gehören zur täglichen Lebensrealität der Bewohner der gigantischen chinesischen Grossstädte. Kritische Stimmen warnen bereits seit Jahren davor, dass Wachstum allein, sowohl wirtschaftlich als auch im Hinblick auf die Bevölkerungszahlen, nicht die Lösung sein wird, sondern vielmehr Teil des Problems. Um der zunehmend wachsenden Bevölkerung eine unbelastete Umwelt und sichere Lebensmittel bieten zu können, ist es höchste Zeit über eine Reduzierung des Konsums, grüne Technologien und Nachhaltigkeit nachzudenken. Ansonsten läuft China Gefahr, dass der schöne Traum sich zum «chinesischen Alptraum» entwickelt.

 

Der Unternehmer und ehemalige Schweizer Botschafter Uli Sigg diskutiert am Donnerstag 10.03.2016 um 19Uhr mit Andrea Riemenschnitter (Sinologin und Professorin an der Universität Zürich) und Urs Schoettli, (20 Jahre NZZ-Korrespondent in Asien) die Frage „Wer träumt ihn? Der chinesische Traum und die Gesellschaft“. Tickets für diese erste der drei „Chinese Challenges“ – Diskussionsrunden im Zentrum Paul Klee gibt es hier.

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Autor

Kai-Inga Dost

Kai-Inga Dost studierte Kunstgeschichte und Ausstellungs- und Museumswesen an der Universität Bern. Seit 2014 ist sie am Zentrum Paul Klee und arbeitete für das Kooperationsprojekt «Chinese Whispers» als Ausstellungsassistenz.

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