Gastbeitrag: Wer hat die starke Schulter?
Ein Vorteil hat ja die jahrhundertealte Unterdrückung und Diskriminierung für die Frauen: Sie haben sich immer abrackern müssen mit Fragen rund um ihr Selbstverständnis, ihr Sein und ihr Tun und in Bezug zu ihrem ‚Nicht-so-sein-wie-der-Mann‘, dem weisshäutigen Mann – der seit je her für sich in Anspruch nahm, die Norm aller Dinge zu sein. Und was wir uns abgerackert haben und immer noch tun: Unsere Selbstzweifel, unsere Unterwürfigkeit, unser Stillhalte-Lächeln, wenn wir blöd angebaggert werden, unsere Angst, als dumm wahrgenommen zu werden, unsere Leisetreterei. Die Liste liesse sich endlos fortführen. Und dann unsere Emanzipationsversuche: Man stelle sich vor: Vulva-Zeichenkurse, um überhaupt mal zu sehen, was wir ‚da unten‘ haben, Schreikurse, Stricken und Debatten in miefigen Hinterzimmern. Nur um herauszufinden, wer und was wir sind und was wir möglicherweise neben der Kinderaufzucht und dem heimeligen Heim auch noch wollen könnten.
Nein, diese Hölle möchten wir den Männern ersparen. Das wäre ungefähr so, als würden wir wollen, dass Männer gebären. Wo doch alle zu wissen meinen, dass ein Mann diesen Vorgang psychisch gar nicht verkraften könnte. Nein, es geht nicht um die simple Umdrehung der Geschlechter. Männer sind keine Frauen und müssen dies auch nicht sein. Aber diese Ausstellung bietet den Männern die Möglichkeit, sich Fragen zu stellen: Zu ihrem eigenen Selbstverständnis als Mann. Warum bin ich, wie ich bin? Was bin ich als Mann? Was stelle ich dar? Gefällt mir das? Gäbe es möglicherweise etwas, das ich tun möchte, was ich nicht kann – weil ich ein Mann bin? Solche Vorstellungen könnten ja auch befreiend sein: Wo steht denn eigentlich geschrieben, dass ein Mann eine starke Schulter zur Verfügung stellen muss? Warum soll ein Mann nicht auch mal nach einer starken Schulter verlangen, sich anlehnen und geborgen fühlen dürfen? Nein, keine simple Umkehrung. Ich stelle mir einfach vor, wie es sein könnte, dem täglichen Daseinskampf auch mal anders als stark, herrisch und durchsetzungsstark zu begegnen. Nicht weil Männer ab sofort zu anderen Männern werden müssen, sondern weil ein Mann auch ein ganzheitlicher Mensch sein darf. So wie auch Frauen eben erst ganze Menschen sind, wenn sie auch mal durchsetzungsstark und herrisch daher kommen können, ohne gleich als Zicke angefeindet zu werden.
Banal meinen Sie? Meine ich nicht. Es ist für Männer attraktiver, sich an den Frauen abzuarbeiten oder an ihrer eigenen hegemonialen Männlichkeit festzuhalten als nach neuen Männerrollen zu suchen. In den Workshops, die wir zusammen mit dem Kunstmuseum Bern anbieten, möchten wir uns zusammen mit jungen Menschen auf die Suche nach solchen neuen Männerrollen machen. Teil dieser Workshops ist ein Ideenwettbewerb: Die besten Ideen neuer Männerbilder werden prämiert und als Postkarten-Serie umgesetzt. Denn nicht nur traditionelle Frauenrollen müssen rollen, auch traditionelle Männerrollen sollen rollen.
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