Publiziert am 7. August 2015 von Julia Carabain Blum

Wachsende Kristalle zeichnerisch festgehalten

Vom Künstlerpaar Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger ist mir in ihrer aktuellen Installation „Kristallseelengärtnerei“ im Rahmen der Ausstellung «Stein aus Licht. Kristallvisionen in der Kunst», ein Arbeitsplatz als wissenschaftliche Zeichnerin angeboten worden. Ich nahm diese spannende Herausforderung mit einer guten Portion Neugier und Respekt an.

Es ist ein ziemlich ungewöhnlicher Arbeitsplatz inmitten der Ausstellung, umringt von wuchernden Harnstoff-Kristallen, wechselnden Besucherströmen und Arbeiten von renommierten Künstlern wie Friedrich, Klee und Beuys. Mit neugierigen Blicken verfolgen die Museumsbesucher jeweils mein zeichnerisches Schaffen. Es gibt Momente, in denen mich das von meiner Arbeit ablenkt, meistens bin ich aber dermassen in die zeichnerische Umsetzung vertieft, dass ich gar nichts um mich herum mitbekomme.

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Julias Arbeitsplatz mit Stereomikroskop in der Ausstellung «Stein aus Licht. Kristallvisionen in der Kunst».

Mit Hilfe eines Stereomikroskops schaffe ich es, optisch ganz nah an die kristallinen Strukturen heran zu kommen. Über einen seitlich am Stereomikroskop angebrachten Zeichnungsspiegel, wird die Zeichenfläche und die Spitze des Bleistiftes exakt über das Mikroskopbild projiziert. Somit kann ich durch das linke Okular die Vergrösserung des Kristalls sehen und durch das rechte die Zeichnung. Grobe Umrisse und Proportionen können gut auf das Papier übertragen und nachgezeichnet werden. Eine detaillierte Abbildung und Ausarbeitung der Zeichnung erfordert allerdings eine Kombination von direkter Beobachtung des Objekts und unterschiedliche Vergrösserungseinstellungen des Mikroskops.

In einer ersten Phase habe ich meinen Fokus auf das Abbilden der verschiedenen Formen von ausgewachsenen Harnstoff-Kristallen gerichtet. Parallel dazu versuche ich den eigentlichen Wachstumsprozess eines Harnstoff-Kristalls zeichnerisch möglichst gut zu dokumentieren. Vom Künstlerpaar habe ich hierzu eine Flasche der entsprechenden Nährstofflösung erhalten. Die Aufregung war gross, als ich das erste Mal einen Korkzapfen mit dieser Flüssigkeit beträufelte. Durch das Mikroskop beobachtete ich gebannt, wie sich die Flüssigkeit auf einmal in Bewegung setzte. Mir erschien es wie ein Zauber, der sich vor meinen Augen abspielte. Feinste Verästellungen kamen zum Vorschein, türmten sich auf und begannen sich zu einem grossen Gebilde zusammen zu formen. Innerhalb von zehn Minuten bildete sich eine beträchtliche Kristallschicht am Rande des Korkzapfens. Dies ging allerdings so schnell, dass ich es nicht schaffte, dieses Wachstum zeichnerisch festzuhalten. Ich versuchte also den Kristallisationsprozess zu verlangsamen, indem ich die Sauerstoffzufuhr verringerte und gleichzeitig die Luftfeuchtigkeit erhöhte. Auf diese Weise gelang es mir dann doch noch, die verschiedenen Wachstumsphasen des untersuchten Harnstoff-Kristalles als Bildfolge darzustellen.

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Wie die der Kristall in der Vorlage, wächst auch die Illustration stetig.

Mich fasziniert die Tatsache, dass das Wachstum von anorganischen Kristallen Millionen von Jahren in Anspruch nehmen kann, ich aber in der Ausstellung inmitten von wuchernden Harnstoffkristallen sitzend den Wachstumsprozess sogar eindämmen muss, um die rasanten Veränderungen zeichnerisch überhaupt festhalten zu können.

An einer Wand neben der „Kristallseelengärtnerei“ werden die fertigen Illustrationen – und solche die am entstehen sind –  laufend aufgehängt. Neben den bunten, immer grösser werdenden Kristallen von Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger, wachsen weitere gezeichnete Kristalle auf dem Papier und bringen eine langsame, jedoch stetige Veränderung mit sich. Ich bin sehr dankbar, diese spannende und bereichernde Arbeit machen zu dürfen und an einem ungewöhnlichen Ort abzutauchen, in eine für mich neue Welt – die Welt der Kristalle.

Wer Julia bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen möchte, kann dies jeweils donnerstags um die Mittagszeit in der Ausstellung «Stein aus Licht. Kristallvisionen in der Kunst» tun.

Veröffentlicht unter Allgemein, Gastbeitrag
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Autor

Julia Carabain Blum

Julia Carabain Blum ist freischaffende Illustratorin. Nach ihrer Erstausbildung als Dekorationsgestalterin hat sie 2010 das Bachelor Studium an der Kunsthochschule in Luzern, Fachbereich Illustration Non Fiction (Wissenschaftliche Illustration) absolviert. Seither arbeitet sie an unterschiedlichen Projekten im Bereich Illustration, Grafik Design und spezialisiert sich aktuell auf gezeichnete Erklärvideos.

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