Publiziert am 3. Oktober 2014 von Peter Fischer

Über die Vorzüge von Stahl, dessen Zusammenhang mit dem Innen und Aussen, und was das alles mit Einstein zu tun hat.

Natürlich haben wir alle einmal unser Serra-Erlebnis gehabt – dieses Empfinden vor oder zwischen den gekurvten Stahlwänden des radikalen Minimal Art-Künstlers Richard Serra. Sie lassen uns mit unserem Körper ihre Körper spüren, die Härte, die Kühle, die gewalzte Form, die irgendwie auch organisch anmutet, gleichwohl den Schall zurückwirft und uns auch abstösst. Oder eher umfasst? Und nun Antony Gormleys Installation Expansion Field aus 60 Stahlobjekten bei uns im Zentrum Paul Klee. Begehbar wie die Serra-Environments, kippend zwischen Architektur (die rechteckigen Formen bestärken den Eindruck einer modernen Stadtkulisse) und menschlicher Figur (bei aller Abstraktion lassen die Objekte menschliche Körperhaltungen erkennen).

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Produktion Expansion Field, 2014, Foto © Antony Gormley Studio

Anders als bei Serra ist die Rohheit bei Gormley gezähmt. Die Stahlplatten weisen keine Merkmale ihres industriellen Gebrauchs auf, keine Stempel, keine Markierungen, keine Schleif-und Kratzspuren, ihre Ober­flächen zeugen lediglich von der Hitze, der sie im Schmelzprozess ausgesetzt waren: Ihr Schimmern oszilliert zwischen tiefschwarz und silberblau. Die einzelnen Stahlplatten sind gegenseitig verschweisst. In millimeter­genauer Präzision haben ein Dutzend Stahlarbeiter in wochenlanger Arbeit diese Schweissnähte angebracht. Sie erzeugen vor unserem Auge ein Liniengeflecht, eine Zeichnung im Raum. Und sie schliessen die Körper hermetisch ab, sind Zeugnisse derer Dualität von innen und aussen, sodass die Stahlplatten selbst – so hart und undurchdringlich sie anmuten – zum Medium werden, welches innen und aussen zusammenbringt. Wer das Glück hatte, den Künstler während der Installationsarbeiten dabei zu erleben, wie er die Oberflächen der Kuben durch Schläge mit dem Handballen zum Vibrieren und Klingen brachte (dies zu tun ist für normal­sterbliche Besucherinnen und Besucher im Museum natürlich strengstens untersagt), wird sich der Bedeutung dieser Stahlhaut für die gegenseitige Bedingtheit und den Austausch von innen und aussen nochmals ganz neu bewusst. Das Körperhafte mit seinen Eigenschaften des Innen und Aussen wird auf einer anderen Ebene dann gar zur Metapher für die Empathie, für die Anteilnahme, die die Werke bei den Betrachtern auslösen, denn „Empathie“, so schrieb Michael Newman 2012 im Katalog zu Gormleys Ausstellung Model in der White Cube Gallery, „ist in Gormleys skulpturalem Schaffen eine Erfahrung – zugleich körperlich wie mental – in der das Innere nach aussen gestülpt wird wie ein Handschuh und das Selbst und das Andere sich treffen“.

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Antony Gormley, EXPANSION FIELD, 2014, 60 Stahlskulpturen / sculptures in Corten steel, Installation, Zentrum Paul Klee, 2014, © Antony Gormley, Foto: Dominique Uldry

Innen und Aussen lassen sich bei Expansion Field auf verschiedenen Ebenen ausmachen. Im einzelnen Tanker (so nennt Gormley diese skulpturalen Objekte), aber auch in der Installation als Ganzes: Sieht man sie aus Distanz, hat sie etwas Geschlossenes, vergleichbar mit der Silhouette Manhattans, wie man ihrer gewahr wird, wenn man sich von La Guardia oder JFK  der Stadt nähert; betritt man sie, bewegt man sich in einem eigenen Organismus. Er ist gebaut, er ist aber auch lebendig, eine Ansammlung von Figuren menschlicher Körper. Die Dualität von innen und aussen setzt sich fort: Nie hat man Renzo Pianos Ausstellungsraum so nackt gesehen, dass man nicht umhin kommt, seine Architektur auch aus der Innenperspektive so wahrzunehmen, wie sie es von aussen überdeutlich kund tut, nämlich als Verbindung von Gewachsenem und Gebautem, als Synthese von Natur und Kultur. Und in dieser Anknüpfung an das Erdzeitalter über die Berner mittelländische Moränen­landschaft findet sich Renzo Piano mit Antony Gormley, denn Gormleys Modell der Expansion ins potenziell Unendliche zielt wie Pianos architektonischer Wurf des ZPK ebenso auf das grössere Ganze und dringt statt in vergangene in zukünftige Zeitalter vor, nämlich den sich stetig ausdehnenden Kosmos.

Nun wird’s definitiv entweder philosophisch oder dann astrophysikalisch, was aber in Albert Einsteins Heimat­stätte ja wohl erlaubt sein wird. Wem es zu viel wird, soll doch einfach ins ZPK kommen und sich darüber mit den 60 Kollegen aus Stahl unterhalten. Oder am 20. Dezember zum Gespräch von Hans Ulrich Obrist mit Antony Gormley. Oder an eine der zahlreichen Führungen. Wie auch immer, ich und wir alle hier im ZPK sind gespannt auf Reaktionen.

Veröffentlicht unter Gastbeitrag
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Peter Fischer

Peter Fischer ist seit November 2011 Direktor des Zentrum Paul Klee. Zuvor war er während 10 Jahren Direktor des Kunstmuseum Luzern. Sein Interesse ist breit gefächert, sodass er sich nebst der bildenden Kunst von Klee (ja eigentlich von der Urzeit) bis zur Gegenwart auch der Musik und Literatur sowie insbesondere der Vermittlung von spartenübergreifenden künstlerischen Ausdrucksformen widmet.

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