Rückblick auf 20 Jahre Kunstmuseum Bern
Das Haus war mir schon lange vor dem Beginn meiner Tätigkeit am Kunstmuseum Bern vertraut, zumal das kunsthistorische Institut ebenda angesiedelt war (und nach wie vor ist). Doch der Neubau des Atelier 5 stand längst noch nicht und die Seminar- und Bibliotheksräume wie auch die Büros des Direktors Hugo Wagner und der anderen Museumsangestellten waren noch dort, wo heute die Altmeister ausgestellt werden. Man war während des Studiums in den 70er Jahren miteinander in Tuchfühlung und wir konnten – mangels eines Museumscafés – jeweils am Automaten in der Eingangshalle zusammen mit dem Museumspersonal unsere Pausenerfrischung holen und uns dabei austauschen. Um Punkt 18 Uhr kam dabei jeweils der Abwart nach unten, um die letzten Studentinnen und Studenten zu vertreiben, damit der Alarm eingeschaltet werden konnte.
Ich erinnere mich auch noch an die dramatische Hektik, die ausbrach, als festgestellt wurde, dass zwei wichtige Klee-Aquarelle gestohlen waren – da hiess es, Mappen und Taschen seien vorzuweisen und niemand dürfe raus aus dem Museum, bevor die Sache geklärt war (drei Jahrzehnte später erst erfolgte die „Klärung“).
Nun, nach Studienabschluss war ich mehrere Jahre in Italien zuhause, doch 1990, bald nach meiner Rückkehr, sagte Sandor Kuthy, der damalige Konservator, er suche jemanden, der mit ihm den Werkkatalog zu Albert Anker neu erstellen möchte. Somit war ich wieder mit einem Bein an der Hodlerstrasse 8-12, wobei das Anker-Projekt im Auftragsverhältnis erfolgte. 1992-93 schloss das Museum wegen der Sanierung des Atelier 5–Baus für ein Jahr die Tore, das wissenschaftlliche Personal konnte einen Auslandaufenthalt absolvieren, mein Vorgänger Assistent Markus Landert wurde als Leiter an die Kartause Ittingen gewählt. So durfte ich ab Dezember 1993 als Assistentin beim damaligen Direktor Hans Christoph von Tavel beginnen. Meine allererste Aufgabe bestand darin, in Hinblick auf eine Ausstellung der beliebten Reihe Künstlerpaare – Künstlerfreunde (zu Margrit und Walter Linck, 1994), regelmässig nach Reichenbach zu gehen, um im dortigen Atelier die Gebilde, Gefässe und Vasen von Margrit Linck auszumessen und zu beschreiben – ein spannender erster Einblick in die Museumstätigkeit. In den vielen Jahren danach folgten zahlreiche weitere Projekte, bei denen ich beteiligt sein durfte, es gab Hochs und Tiefs, Aufregungen und schöne Momente. Was bleibt? Vor allem viele gute Erinnerungen.
Ein Höhepunkt war jedoch zweifellos die Ausstellung mit Marina Abramović 1998, die u.a. auch ihre Videoperformance-Installation Balkan Baroque zeigen wollte, für die sie an der Biennale im Jahr zuvor den Goldenen Löwen erhalten hatte. Doch frische Rinderknochen, die sie wie in Venedig mit einer Bürste fortwährend zu reinigen beabsichtigte, während sie Totenlieder aus ihrer Heimat singt, lagen im Kunstmuseum nicht drin. Somit mussten tonnenweise ausgekochte Knochen bestellt werden, was nach vielem Herumtelefonieren meinerseits schliesslich bei der Migros-Grossmetzgerei in Freiburg gelungen ist – es gab noch keinen Facility-Manager, der dies heute wohl übernehmen würde. Schon bald nach der Anlieferung verbreitete sich durch die Klimaanlage im ganzen Haus ein säuerlicher, unangenehmer Geruch, der sich erst nach geraumer Zeit allmählich abschwächte. Auch Blut kam damals zum Einsatz, denn für eine andere Arbeit benötigte sie alle zwei Tage frisches Schweineblut, um damit an die Wand schreiben zu können – allein der aufsteigende Geruch beim Bringen des Kessels zu ihr weckte bei mir Übelkeit. Marina aber schien dies keine Mühe zu bereiten – wobei neben Knochen und Blut längst auch Tränen im Spiel waren – unvergesslich, wie, als ich sie beim Eintreffen aus Mailand auf dem Perron in Bern vom Zug abholte, sie in Tränen aufgelöst ausstieg und sogleich alles zum Diebstahl ihrer Handtasche aus ihr raussprudelte – sie hatte, vor Abfahrt des Zuges, ihren Platz kurz unbeaufsichtigt gelassen. Ihr Aufenthalt in Bern begann für mich somit mit weiterer Telefoniererei: mit dem Sperren ihrer zahlreichen Kreditkarten und der Beschaffung eines neuen Passes von der Botschaft.
Auch eine andere internationale Persönlichkeit, Ilya Kabakov, hat sich während meiner Zeit am Kunstmuseum Bern stark bemerkbar gemacht. Er zeigte im Jahr 2000 bei uns seine Ausstellung „50 Installationen“. In diesem Zusammenhang hat Toni Stooss mit ihm den Werkkatalog der Installationsarbeiten erarbeitet, so dass nebst zahlreichen Besuchen der Kabakovs – er wurde stets sekundiert von seiner charmanten, aber ehrgeizigen Frau Emilia – auch ein intensiver Briefverkehr – resp. damals zumeist Fax-Verkehr – zwischen New York und Bern stattgefunden hat und auf meinem Tisch landete. Für letzte Korrekturen fuhr ich bei strömendem Regen bis nach Como, wo er seine traditonelle Sommerakademie abhielt.
Noch vieles gäbe es zu berichten. Bald schon folgte die Ära Matthias Frehner, der mich sodann auch in die Museumsleitung aufgenommen hat. Als erstes konnte ich mit ihm Peter Stein, Rolf Iseli und Alois Lichtsteiner besuchen, um die drei Künstler 2003 für eine gemeinsame Schau zu gewinnen. Danach erfolgte eines von zwei grossen Anker-Projekten, zu jenem Künstler, dem es offensichtlich immer wieder gelingt, grosse Besucherströme anzulocken. Mit dem guten Albert Anker konnte ich zudem wiederholt auswärtige Abstecher betreuen und begleiten – so kam 2004 erstmals eine Kooperation mit der Fondation Gianadda in Martigny zustande sowie 2007/08 an drei Stationen in Japan. Neben kleineren Projekten, Katalogtexten und Sonderaufträgen durfte ich zudem drei grosse Retrospektiven kuratieren – Meret Oppenheim (mit ganz enorm wenig viel, 2006), Giovanni Giacometti (Farbe im Licht, 2009) sowie schliesslich doch endlich noch Otto Nebel (Zur Unzeit gegeigt, 2012), mit dem mein Kunsthistorikerleben einst zu Studienzeiten begonnen hatte.
Der Kreis schliesst sich auch insofern, als demnächst die Ausstellung zu Samuel Hieronymus Grimm ansteht (A Very English Swiss, ab 17. Januar 2014), für die ich dem Kurator William Hauptman zur Seite stehen kann, ganz so, wie bereits 1996, als auch dieser es war, der damals den andern Exil-Schweizer in England, den Captain Cook-Begleiter John Webber, nach Bern zurückgebracht hat.
Erwähnt sei schliesslich noch dies: Ich durfte auch wiederholt für die Museumssammlung Werke ersteigern, so zum Beispiel vor einigen Jahren bei einem kleinen Auktionshaus zwei grossartige, ausgefeilte Kohle-Zeichnungen von Albert Anker (Traurige und Glückliche Familie), für die ich mangels anderer Gebote weit unter dem Schätzpreis rasch den Zuschlag bekam. Sowie – was mich besonders freute – am allerletzten Tag meiner Tätigkeit hier: zwei schöne Gemälde von Martha Stettler, der Begründerin der Académie de la Grande Chaumière in Paris, die zugleich meine Grosstante und Tochter des Erbauers des Kunstmuseums Bern war – der Kreis hat sich definitiv geschlossen.
Nun, letztlich bleibt zu erwähnen, dass ich dankbar bin, die Möglichkeit erhalten zu haben, ins Team eines Museums aufgenommen worden zu sein. Wie überall kann die Arbeit anstrengend sein, doch, wie gezeigt, ist sie ohne Zweifel vor allem abwechslungsreich, interessant und unglaublich spannend.
Veröffentlicht unter Blick hinter die Kulissen
Schlagwörter: Geschichte