Nicht eine Frage der Software. Interview mit Philipp Schaerer zu digitalen Bildern in der Architektur
Philipp Schaerer ist ausgebildeter Architekt und hat Anfang der 2000er Jahre die Bildsprache der Architekturvisualisierungen von Herzog & de Meuron wesentlich mitgeprägt. Heute macht er eigenständige künstlerische Arbeiten, die unsere Sicht auf die Welt in einer von digitalen Medien bestimmten Umwelt befragen. In der République Géniale ist er mit seiner Lehrtätigkeit präsent. Die Bildprojektion «Imaginary Composites – Reconfigured Realities» zeigt anhand von Arbeiten seiner Studierenden experimentelle Gestaltungsansätze für das Entwerfen mit digitalen Bildern. Morgen Dienstag um 12 Uhr spricht Philipp Schaerer in seinem Hors d’Oeuvre über das Bild in der Architektur, seinen Einfluss auf die Wahrnehmung von Architektur und das Tätigkeitsfeld von Architekt*innen. Meret Arnold hat Philipp Schaerer zum Gespräch getroffen.
Meret Arnold: Deine Lehre dreht sich um digitale Bilder im Spannungsfeld zwischen Kunst und Architektur. Um was geht es dir dabei?
Philipp Schaerer: Mir geht es darum, dass die Studierenden das Bildhandwerk nicht verlieren. Ich beobachte eine Tendenz einer globalen Architektur, die sich in ihrer Erscheinung immer ähnlicher wird. Das zeigt sich nicht nur in den realisierten Bauten, sondern bereits in der Bildsprache der projektierten und visualisierten Entwürfe. Sie sind geprägt von einer digitalen Out-of-the-box-Ästhetik, die keine individuelle Handschrift mehr tragen. Hier setze ich mit meiner Lehre an. Ich möchte den Studierenden einen kreativeren Zugang zu rechnerbasierten (Bild-)techniken vermitteln. Sie sollen die von den Programmen vorgegebenen Anwendungsszenarien und Settings hinterfragen und eigene Ästhetiken schaffen.
MA: Viele sehen mit dem Entwerfen am Computer die Sinnlichkeit und Individualität des Handwerks schwinden. Wie siehst du das?
PHS: Ein Werkzeug macht die Arbeit nicht von selbst. Entscheidender ist die Art und Weise, wie die Anwender es einsetzen. Das Bildermachen am Computer ist auch ein Handwerk, aber die darstellerischen Möglichkeiten von digitalen Visualisierungstechniken werden noch zu wenig ausgelotet.
MA: Liegt das Problem in der verfügbaren Software oder in unserer Nutzung der Programme?
PHS: Das Problem liegt bei der tendenziell monotonen Art der Anwendung. Der Einsatz von 3D-Visualisierungprogrammen steckt klar in den Kinderschuhen und wird in der Architekturpraxis hauptsächlich zur Generierung fotorealistischer Bilder genutzt. Hier wäre ein experimentellerer Umgang begrüssenswert, um auch abstraktere Darstellungsformen hervorzubringen.
MA: Hat das deiner Meinung nach Einfluss auf die gebaute Architektur?
PHS: Das Gestaltungsmittel hat immer Einfluss auf das Resultat. Ein anderer Punkt erscheint mir hier jedoch ebenso wichtig. Er betrifft die wachsende Verfügbarkeit an digitalen Inhalten über das Internet. Das Internet als weltumspannender Bildverteiler und Inspirationsquelle hat zu einem wahren Inhalt-Recycling geführt. Auch im Bereich der Architekturproduktion ist dies zu spüren. Die Entwürfe sehen sich zusehend ähnlich, egal ob sie gebaut oder als Entwürfe visualisiert sind.
MA: Was unternimmst du in deiner Lehre, um dieser eingeschränkten Bildsprache entgegenzuwirken?
PHS: Der Lehrschwerpunkt liegt auf dem Arbeiten mit experimentellen und bildlichen Kompositionstechniken. Ich interessiere mich für das bildliche Zusammenbringen und Neuarrangieren von vermeintlich Unvereinbarem, für Bildkonstruktionen, die wenig mit der Realität zu tun haben – Utopien im inhaltlichen Sinne. Auch experimentieren wir mit Bildsprachen und Abstraktionsmöglichkeiten digitaler Bildverfahren mit dem Ziel, unser digitales Ausdrucksvermögen zu erweitern.
MA: Das digitale Sampling, also die Technik, verschiedene Dinge neu zusammenzusetzen, durchzieht alle deine Aufgabenstellungen.
PHS: Nicht alle, aber viele. Ich sehe heute die Verknüpfung von Inhalten als wichtigste Aufgabe in der Ausbildung. Zwar bieten uns digitale Plattformen mittlerweile eine unermessliche Fülle an Informationsbausteinen, doch haben sie für die zukünftige Problemstellungen kaum befriedigende Antworten. Die Studierenden brauchen die Fähigkeit, Informations- und Wissensbausteine in Relation zu bringen, zur arrangieren und sie in neue (bildliche) Zusammenhänge zu stellen. Das heisst auch unkonventionelle Lösungsansätze zu finden. Hier sind im Besonderen experimentelle Kreativitätstechniken angesprochen, die sich aus einer im Geiste wendigen, spielerischen und von einer gewissen Naivität gekennzeichneten Herangehensweise nähren. Computer brauchen klare Handlungsanweisungen. Intuitiv basierte und nicht ganz nachvollziehbare Herangehensweisen sind mittels Computer noch schwer nachzubilden. Hier liegt die Chance für zukünftige Gestalter.
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