Publiziert am 20. Juli 2018 von Corinne Sotzek

Martha Stettler, eine neu entdeckte Berner Malerin im Paris der Jahrhundertwende

Zu Lebzeiten ist Martha Stettler (1870–1945) sowohl in Paris als auch in Bern eine bekannte Persönlichkeit. Bis 1892 besucht sie die Berner Kunstschule, die damals im Untergeschoss des Berner Kunstmuseums eingemietet ist. 1893 fährt die junge Frau mit ihrer baltischen Lebenspartnerin, der Malerin Alice Dannenberg, nach Paris, um sich dort weiter ausbilden zu lassen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Stettler stammt aus einer Bernburger-Familie, ihr Vater Eugen Stettler war der Erbauer des Kunstmuseums Bern. Obwohl Martha von ihrer Familie unterstützt wird, erhält sie als Frau nicht die gleichen Ausbildungschancen wie ihre männlichen Kollegen. Sie setzt sich jedoch erfolgreich durch und nimmt mit ihrem gemässigten impressionistischen Stil am damaligen Kunstbetrieb teil.

Allmählich erzielt sie auf internationalen Ausstellungen namhafte Auszeichnungen, so 1910 an der Weltausstellung in Brüssel für «Die Leserin» (heute in der Galleria Nazionale d’Arte moderna, Rom), oder 1913 an der XI. Internationalen Kunstausstellung im Glaspalast in München für «Die Schaukel» (Kunstmuseum St. Gallen). Gleichzeitig setzt sie sich immer wieder für die Rolle der Künstlerin ein. So ist sie 1917 die erste Frau in der Jury einer Nationalen Kunstausstellung und 1920 die einzige Frau unter mehreren Männern an der ersten Schweizer-Teilnahme der Biennale von Venedig. Trotzdem gerät sie und ihr Werk nach ihrem Tod schnell in Vergessenheit.

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Martha Stettler, Sur la terrasse de Versailles, um 1911, Öl auf Leinwand, 64 x 80 cm. Privatbesitz

Im Fokus der Ausstellung «Martha Stettler. Eine Impressionistin zwischen Bern und Paris» sind die Bilder, die in Paris entstanden sind. Die Malerin bevorzugt Freilichtszenen, in denen der Jardin du Luxembourg, die Tuilerien-Gärten und der Schlosspark von Versailles die bevorzugten Schauplätze sind. Daneben sind Interieurs und Stillleben zu sehen. Eine Einführung widmet sich der Berner Herkunft und der Ausbildung in Paris, ein Kabinett zeigt das künstlerische und persönliche Umfeld von Martha Stettler. Die Werkauswahl stammt in erster Linie aus den Beständen des Nachlasses, des Kunstmuseums Bern und aus Schweizer Privatbesitz. Zusätzlich können einige wichtige Werke aus dem Ausland (Frankreich, Italien und Deutschland) erstmals gemeinsam präsentiert werden.

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Martha Stettler, Le parc, um 1910, Öl auf Leinwand, 81 x 116,3 cm. Kunstmuseum Bern

„Mir wey kener Wyber“

Um 1902 spielt Martha Stettler bei der Gründung der noch heute existierenden Académie de la Grande Chaumière eine wichtige Rolle. Ab 1909 – zur gleichen Zeit als Hodler in der Schweiz den Frauen einmal mehr mit seinem Diktum „Mir wey kener Wyber“ den Zutritt zum Künstlerverband GSMBA verwehrte –, übernimmt sie die Leitung der Akademie und entwickelt sie während 40 Jahren weiter. Stettler hat sich immer wieder für die Rolle der Künstlerin eingesetzt. Sie gründet als Reaktion auf die erneute Zurückweisung die Berner Sektion der Gesellschaft für Malerinnen und Bildhauerinnen (GSMB), unter anderem mit Clara von Rappard und Bertha Züricher. Stettler hat zeitlebens die Verbindung zur Schweiz, insbesondere zu Bern gepflegt. Jährlich besucht sie für Familienbesuche und Malaufenthalte in den Alpen ihre Heimatstadt. Um 1919 gibt Stettler schliesslich das Malen grosser Kompositionen zugunsten der Akademieleitung auf.

In ihren Freilichtszenen setzt das Spiel von einfallendem Licht und kontrastierenden Schatten, rhythmische Akzente. Von ihrem Schaffen geht eine grosse koloristische Kraft aus. Meist schaut sie von erhöhtem Standpunkt auf die in ihre Tätigkeiten versunkenen Kindern und deren Betreuerinnen. Sie setzt die dargestellten Personen miteinander in Verbindung, dass innerbildliche Geschichten entstehen. Stettlers Werk zeigt grosse malerische Qualitäten, obwohl sie stets bei einer moderaten impressionistischen Auffassung bleibt und sich keiner avantgardistischen Strömung anschliesst.

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Martha Stettler, Stillleben mit Katze, zw. 1907 und 1916, Öl auf Leinwand, 65 x 80,5 cm. Kunstmuseum Bern

Als 1946 Arnold Rüdlinger ihr in der Berner Kunsthalle eine Gedächtnisausstellung widmet, wird sie laut einer Kritik zu einer der «namhaftesten Schweizer Künstlerinnen der neueren Zeit gerechnet». Die Ausstellung im Kunstmuseum Bern macht deutlich, dass Martha Stettler in der Malerei im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts einen wichtigen Platz einnimmt. Seit 35 Jahren kann das Werk von Martha Stettler erstmals in dieser Breite der Öffentlichkeit präsentiert werden. Die Ausstellung vermittelt einen Einblick einerseits in das Werk einer Malerin, die von der offiziellen Kunstgeschichte bislang wenig beachtet worden ist, andererseits in ein Stück Frauengeschichte Ende des 19. und anfangs des 20. Jahrhunderts.

Die Ausstellung «Martha Stettler. Eine Impressionistin zwischen Bern und Paris» ist noch bis am Sonntag 29. Juli zu sehen.

Veröffentlicht unter Allgemein, Gastbeitrag
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Autor

Corinne Sotzek

Corinne Linda Sotzek ist Kunsthistorikerin und hat ihre Dissertation über Martha Stettler mit einem Werkkatalog abgeschlossen. Sie ist Autorin zahlreicher Texte v.a. über Schweizer KünstlerInnen und ist in der Kulturförderung tätig. Daneben freie kuratorische Tätigkeit und Nachlassverwalterin von Künstlernachlässen.

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