Publiziert am 24. Oktober 2014 von Dr. Marianne Gerny-Schild

Kunst für das Kunstmuseum, nicht für das Cheminéezimmer!

Auszüge aus der Vernissagerede zur Ausstellung „IM HIER UND JETZT!“ vom 3. Oktober 2014,
Von Dr. Marianne Gerny-Schild, Mitgründerin der Stiftung Kunst Heute


Meine Damen und Herren

Liebe Künstlerinnen und Künstler

„Abschied mit einem weinenden und einem lachenden Auge“. Unter diesem Motto möchte ich meine Worte an Sie richten. Es dürfte Verschiedenen unter Ihnen bekannt sein, dass der Stiftungsrat der Stiftung Kunst Heute vor einem Jahr beschlossen hat, die Stiftung aufzulösen. Nach 32 Jahren schien es uns der richtige Zeitpunkt zu sein, das Projekt zu beenden. Wir sind zur Überzeugung gelangt, dass „Alles seine Zeit hat“. Wichtige Voraussetzungen im Kunstbetrieb haben sich in den drei Jahrzehnten geändert, obwohl das bei der Gründung festgelegte Konzept sich über viele Jahre bewährt und viel zum Erfolg der Stiftung beigetragen hat. Mit dieser Vorbemerkung ist das „weinende Auge“ bereits abgehakt. Zum „lachenden Auge“ gehört: Während all dieser Jahre habe ich viel Aufregendes, Interessantes, Zeitgeschichtliches und letztlich vor allem viel Freude erlebt.

Ich blende kurz in die Zeit der Gründung zurück. Wir sind im Jahr 1979, als das Kunstmuseum sein 100-jähriges Jubiläum feiert. Ich durfte in der animierenden und manchmal auch aufmüpfigen Vorbereitungsgruppe mitmachen. Unter vielen Ideen (ich erinnere nur an die legendären „Jubiseen“, = Mehrzahl von Jubiseum!) hatte es mir vor allem eine angetan: Das Kunstmuseum solle mit einem – bescheidenen – Teil der geschenkten Jubiläumsgelder einen Fonds für den Ankauf zeitgenössischer Kunst äufnen. Die Crux für das Kunstmuseum war dabei wahrscheinlich die, dass der Antrag so lautete, dass nicht das Museum, sondern dass Aussenstehende für die Ankäufe verantwortlich sein sollten. Uns schwebte eine kleine Kommission vor, bestehend aus Sammlern, Künstlern, Kunstliebhabern, Kunstsachverständigen, kurz aus Leuten, die sich mit Kunst befassten.

Die Absage der Museumsdirektion hat mich dann sehr betrübt, derart, dass ich diese Idee auf privater Basis selber zu realisieren versuchte. Und dass dies geglückt ist, habe ich Donald Hess zu verdanken, der sich selber auch schon ähnliche Gedanken gemacht hatte (die Stiftung Kunsthalle existierte damals noch nicht!). Es war eine glückliche Fügung, dass ich ihn als Partner gewinnen konnte. (…)

Rist_eindrücke_verdauen

Pipilotti Rist, Eindrücke verdauen (Magenendoskopiefahrt), 1993, Video, VHS-Player, s/w Kugelmonitor, gelbes Badekleid, gelbe Maschen am Kabel, Kunstmuseum Bern, Schenkung der Stiftung Kunst Heute.

Wir verglichen ein paar Stiftungszwecke bereits bestehender ähnlicher Stiftungen und haben uns dann rasch auf folgende Hauptpunkte geeinigt: Es sollte aktuelle, jeweils neueste Schweizer Kunst gesammelt werden. Die Ankäufe sollten von einer unabhängigen Ankaufskommission mit einer Amtszeit von ca. 6-8 Jahren getätigt werden. Der Stiftungsrat sollte klein bleiben und für die Ankäufe weder Empfehlungen machen noch gar selber ankaufen dürfen. Und das Ganze sollte, ich zitiere, “einen wesentlichen Beitrag zur Dokumentation und Sammlung zeitgenössischer Kunst in Bern leisten“. (…)

Das Hauptmerkmal und gleichzeitig das Erfolgsrezept der Stiftung waren meines Erachtens die Institution der Ankaufskommissionen. (…) Sie waren es, die der Stiftung ihr Gesicht gegeben haben. Ihre Mitglieder, die jeweils aus verschiedenen Regionen der Schweiz stammten, waren gehalten, sich auf ein gemeinsames Konzept zu einigen. Ich zitiere aus diesem ersten entscheidenden Konzept, mit dem die erste Ankaufskommission den Grundstein für die Richtung und die Qualität der Sammlung gelegt hat: „Das Sammeln aktueller Kunst ist nicht gleichzusetzen mit spekulativen Entdeckungen. Aktualität bezieht sich auch nicht auf den Jahrgang des Künstlers oder auf das Entstehungsjahr eines Werkes.“ Und weiter: „Eine eigenwillige Selektion soll der Sammlung ein Gesicht geben.“ Also eine bewusste, subjektive Schwerpunktbildung, gepaart mit der „Forderung nach Werken, die im Oeuvre eines Künstlers einen repräsentativen Charakter haben“. Kurz: Die Werke sollen Museumsqualität haben! Dazu nahm die Kommission sogar in Kauf, dass ein Werk ein ganzes Jahresbudget verschlingen könnte. (…) Also von Anfang an: Kunst für das Kunstmuseum, nicht für das Cheminéezimmer. Und diese Haltung ist beim grössten Teil der Werke massgebend geblieben. Sie tragen zum Profil einer Sammlung bei, die sich unmissverständlich vom privaten Sammlerkontext unterscheidet und zum museumsträchtigen Sammlungsgut geworden ist.


Zwischen 1982 und 2013 hat die Stiftung Kunst Heute eine hochkarätige Sammlung von Schweizer Gegenwartskunst zusammengetragen, darunter Schlüsselwerke von u.a. Thomas Hirschhorn, Pipilotti Rist oder John M Armleder. 2003 wurde die gesamte Sammlung dem Kunstmuseum Bern als Schenkung übergeben.

Mehr zur Ausstellung auf www.kunstmuseumbern.ch
Mehr zur vollständigen Sammlung der Stiftung Kunst Heute unter
www.sammlung-kunst-heute.ch

Veröffentlicht unter Gastbeitrag

Dr. Marianne Gerny-Schild

Marianne Gerny-Schild hat 1982 die Stiftung Kunst Heute mitgegründet. Sie ist Kunsthistorikerin und war viele Jahre im Verlagswesen, u.a. beim Benteli Verlag, tätig, wo sie für die Herstellung von Katalogen für diverse Kunstmuseen Europas verantwortlich war.

Kommentare

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2 Kommentare

DIE SCHWEIZER KUNSTFÖRDERIN MARIANNE GERNY-SCHILD IST GESTORBEN
Dienstag, 22. Oktober 2024, 21:14

[…] Bild: © http://blog.kunstmuseumbern.ch/kunst-fuer-das-kunstmuseum-nicht-fuer-das-chemineezimmer/ […]

Urs Fehlmann
Sonntag, 26. Oktober 2014, 12:10

Kein auf zwei.