Interview mit Dorothea Schürch
Dorothea Schürch verlegt ihr Forschungsprojekt «Écoute élargie» in die République Géniale und fühlt und hört sich in das monologisierende Beuys’sche «Ja Ja Ja Ja Ja Nee Nee Nee Nee Nee» aus dem Jahre 1968 ein.
Kathleen Bühler hat Ihr vor Ihrem Auftritt am Sonntag 19.08. um 11h ein paar Fragen gestellt.
Was zeigst du uns am Sonntag im Rahmen der République Géniale im Kunstmuseum Bern?
Mit dem Teil I der dreiteiligen Performance-Serie im Rahmen der République Géniale werde ich am Sonntag eine Einführung in mein Forschungsprojekt«Leere Stimmen, vor- und nachsprachliche Transformationsprozesse der Stimme» geben. Die Performance-Serie steht im Zusammenhang mit dem Forschungsschwerpunkt«Écoute élargie» der Hochschule der Künste Bern und also mit meinem Dissertationsprojekt zu experimentellen Stimmkünsten in der Musik nach 1945. Dabei geht es vor allem um Tonbandkompositionen für Stimmen, unter anderem die ultra-lettristische poésie physique von Gil Wolman (1929–1995). Für die République Géniale wurde das Tonbandstück von Joseph Beuys «Ja Ja Ja Ja Ja Nee Nee Nee Nee Nee» aus dem Jahr 1968 ausgewählt.
Handelt es sich dabei um eine Wiederaufführung nach strenger Vorgabe – ein sogenanntes Re-Enactment – oder eine freie Interpretation der historischen Performance?
Weder noch. Für die Performance-Serie habe ich das«Teaching and Learning as Performance Art» von Filliou erweitert mit«Listening and Relating as Performance Art». Meine Forschungen finden in einem portablen Audiostudio mit Lautsprechern, Mikrophon, Kopfhörer etc. statt. Im Studio entsteht etwas Drittes, von mir als«Forschungsmusik» bezeichnet, es ist weder Re-Enactment noch Interpretation, auch keine Aufführung, sondern eher eine performative Transkription.
Wie hast du das Stück erarbeitet? Was ist besonders wichtig zu wissen?
Meine Forschungsmethode ist speziell auf diese Tonbandstücke zugeschnitten: Mit dem Audioscoring untersuche ich ausschliesslich Tonbandstimmen. Diese Stimmen sind meistens direkt als technische Schrift mit einem Tonband aufgezeichnet worden und es existiert für sie keine herkömmliche Partitur in einer symbolischen Schrift – lesen, also decodieren, kann die«Tonbandschrift» nur ein Tonband.
Für die von mir entwickelte Forschungsmethode des Audioscorings ist das Tonband eine mediale Partitur, eine Partitur, die gehört wird und nicht eine die vom Blatt gelesen wird. Anhaltspunkte für die Stimmproduktion werden also nicht gelesen sondern gehört.
Das Studio-Labor ermöglicht mir mit der eigenen Stimme auf dem Hintergrund der Tonbandstimme zu experimentieren, diese einander anzunähern und die Tonbandstimme von«innen», von ihrer Stimmphysiologie und von ihrem medialen Charakter her zu analysieren, indem sie erarbeitet und erprobt wird.«Hören-Machen» ist typisch für das Audioscoring – das würde Filliou vielleicht gefallen: Sing-Along als Forschungsmethode…
Auf diese Weise dient die Tonbandstimme der aktuellen Stimme als Vorlage – der Maschinenscore wird zur Partitur, zur akustischen Partitur, zum Audioscore. Das«Logbuch», das ich im Rahmen dieses Erarbeitungsprozesses führe, ist das entscheidende Forschungswerkzeug.
Auf was freust du dich dabei besonders?
In der République Géniale wird meine Forschungsmethode auf ein Tonbandstück ohne jede ultra-lettristischen Stimmextravaganzen angewendet:«Ja Ja Ja…» ist geradezu das Gegenteil davon – Frage ist, ob und wie sich das Audioscoring auf das Stück adaptieren lässt und was dabei herauskommt… ganz im Sinne von Fillious «bien fait, mal fait, pas fait».
Inwiefern denkst du bezieht sich dein Beitrag auf Robert Filliou?
Ich erinnere mich im Centre Pompidou in Paris das merkwürdige Display von«Principe d’équivalence» aus dutzenden von roten Puppensocken gesehen zu haben. Mir kam es vor wie eine Assemblage eines Puppenhauses, verkleinert, modellhaft, zusammengeschustert. Mein Studio ist auch ein Modell eines Studios und das Prinzip «bien fait, mal fait, pas fait» kommt tatsächlich zur Anwendung, denn Gelingen, Misslingen und das was nicht gemacht wurde sind tatsächlich wichtige Kategorien des Audioscoring.
Was wäre das ideale Publikum für dich?
Für Republique sollte auch hier das Principe d’équivalence gelten: bon publique, mauvais publique, pas de publique.
Was verkörpert deiner Meinung nach eine«Geniale Republik»?
Anarchie, Spiel, Wortgefechte, bricolage und bricollège…
Auftritte von Dorothea Schürch an der République Géniale:
Sonntag, 19.8., 11h – 11h30
Samstag 13.10., 16h30 – 17h
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