Groteske Welten. Mate Djordjevic’ «Berner Zeichnungen»
Es ist selten, dass sich ein Gastkünstler in einem persönlichen Gespräch – und dann noch im Hochsommer – ähnlich begeistert zum Kunstmuseum Bern äussert wie der serbische Maler Mate Djordjevic (*1983), der im Austauschprogramm «Residency.ch» im PROGR zu Gast war. Er pflegt eine Beziehung zu Kunstsammlungen, die man angesichts vieler aktueller Kunstschaffender traditionell nennen kann. Lange in Paris wohnhaft, besuchte er dort den Louvre zu Studienzwecken. In Bern beschäftigten ihn: Gustave Courbet, Karl Stauffer und Niklaus Manuel. Die ersten beiden sind quasi Teil der DNA des Kunstmuseums, aber Courbet überrascht, ist er doch an der Seine reichlich vertreten…
Djordjevic erläutert, wie Courbet die Wirkung seiner Gemälde durch bestimmte Motive und die energetische Malweise sowie eine rote Signatur, ähnlich einer wiederkennbaren Marke, kalkuliert habe. Seine Qualität zeige sich jedoch erst in kleinen Formaten wie im Berner Gemälde von 1873, «Nature morte aux trois truites de la Loue». Dessen starke Kontraste von hell und dunkel, in den Grün- und Brauntönen, die teilweise grob aufgetragen sind, illustrierten, dass «Realismus» für Courbet mehr als Abbildung war. Die Maltechnik weise gar Verbindungen zu Cezanne auf, so Djordjevic. Klassische Positionen und deren Techniken und Kompositionen beschäftigen ihn mehr als Fragen der 80er- und 90er-Jahre, als das Ende der Malerei und konzeptuelle Ansätze diskutiert wurden. Heute sieht er diese Diskussionen weitgehend als abgeschlossen und unproduktiv an. Zu Beginn des 21. Jahrhundert könne man wieder ein «herkömmlicher» Maler sein, nicht mehr aber auch nicht weniger.
Djordjevic schafft alptraumhafte, hässlich-faszinierende, deformierte Figuren, Körper und Strukturen. Die Geschöpfe seiner schwarzen Skizzen, die während des Aufenthaltes in Bern entstanden sind, erinnern an Monstrositäten aus dem Universum des Horrorfilms, aus Herr der Ringe oder den Grimmschen Märchen. Sein Thema ist das «Groteske». Nach Duden: «fantastisch gestaltete Darstellung(en) von Tier- und Pflanzenmotiven», wobei sie «durch eine starke Übersteigerung oder Verzerrung absonderlich übertrieben, lächerlich» wirken.
Djordjevic’ Figuren scheinen fast im Wettstreit zu liegen mit den furchteinflössenden, faszinierend bunten Wesenheiten von Niklaus Manuels «Dämonen peinigen den Heiligen Antonius» von 1518-1520 im Kunstmuseum Bern. Djordjevic entdeckte Manuel in Bern für sich und hält dessen Altartafel, von der Farbigkeit und Qualität her, für mit Grünewald vergleichbar. Wobei er Manuels und Courbets Gemälde noch nie in einer Reproduktion gesehen habe, was einen unvoreingenommenen Blick ermögliche. Die Bildtradition der «Versuchung des Heiligen Antonius» bietet von Bosch bis Max Ernst den Kunstschaffenden viel Freiheit für Bildschöpfungen von überbordender Phantastik, kruden Verschmelzungen, latenter Erotik und wilder Exotik. Sie strahlen vielfach durch ihre innovativen Bildlösungen eine ungebrochene Aktualität aus. Die Produktivität des Grotesken gründet darauf, dass Letzteres über die simple Deformation oder Rekombination von Motiven hinausgeht. Der Duden dazu, die Groteske sei die «Darstellung einer verzerrten Wirklichkeit, die auf paradox erscheinende Weise Grauenvolles, Missgestaltetes mit komischen Zügen verbindet». Es ist ein janusköpfiges Konzept, das aus der Antike stammt. Es operiert seit jeher an der Grenze «tradierter» ästhetischer Vorstellungen des Hässlichen und Schönen.
Wenn die Bosch’schen Wesenheiten aus dem Gewimmel der Vorhölle herausgetreten zu sein scheinen, um sich ihren Platz auf dem Zeichenblatt zu erobern, referiert Djordjevic auf die Verfasstheit der Gegenwart. Moral und Religion hätten ausgedient. Fragmentierten widersprüchlichen Erfahrungen könne nur mit einem Lachen über deren groteske Komik begegnet werden. An Stauffers «memento mori», seine «Schädelstudie» von 1880/1 mit liegenden Totenköpfen, fasziniert Djordjevic dessen Lebendigkeit im Bild. Wie bei Stauffer, bei dem ein «Interieur» zu einer «Landschaft» geworden sei, suche er, Djordjevic, einen Weg, dass das «Innere» in der Kunst, als etwas Essenzielles, an die «Oberfläche» trete.
Von Adrian Dürrwang für residency.ch
Adrian Dürrwang ist Historiker und Kunsthistoriker, schreibt unter anderem fürs ‘ensuite. Zeitschrift zu Kultur & Kunst‘ und das ‘Kunstbulletin‘ regelmässig über Kunst und lebt in Bern.
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