Publiziert am 13. September 2013 von Kathleen Bühler

Gibt es bei einer Ausstellung über Männlichkeit nur Kunst von Männern zu sehen?

Nein natürlich nicht. Denn wie mir ein befreundeter Künstler einmal verriet, „braucht man auch kein Huhn zu sein, um zu merken, ob ein Ei faul ist“. Natürlich kann man sagen, dass Männer wohl am besten wissen müssen, wie es um Männer steht und was es heisst, ein Mann zu sein. Aber ist das wirklich so? Oder wie veranschlagen wir den Einfluss von Müttern, Lehrerinnen, Freundinnen, Geliebten, Ehefrauen, Chefinnen und Therapeutinnen auf das Selbstverständnis von Männern? Ist der Mann nun eine einsame Insel, wie es im Bestseller About a Boy von Nick Hornby (1998) heisst, oder ist er eher einer Inselgruppe angeschlossen, wo es auch zu Austausch, gegenseitiger Unterstützung und Geborgenheit kommt? Wir vermuten eher letzteres und haben deshalb die Sichtweisen von Künstlern und Künstlerinnen einbezogen. Ausserdem sollte Das schwache Geschlecht keine Ausstellung darüber werden, wie Mann sich selbst sieht. Das haben wir gewissermassen in meiner ersten thematischen Gruppenausstellung im Kunstmuseum Bern: EGO DOCUMENTS (2008/9) abgehandelt. Dort erkundeten wir bereits das schillernde Spiel zwischen Selbstwahrnehmung, Selbstdokumentation und Selbstinszenierung.

Doch die Art, wie man sich selbst sieht, wird auch massgeblich davon beeinflusst, wie man von anderen gesehen wird. Genau dort beginnt der soziale Prozess, wo sich Normen und Konventionen und eine Identität herausbilden. Dieser Prozess führt zu einem Habitus (Pierre Bourdieu), wie ihn Oliver Dimbath beschreibt: „Der Habitus ist ein sozial entstandenes System aus geordneten und zugleich ordnenden Bestimmungen, das durch das Agieren in sozialen Feldern erworben wird. Mit anderen Worten wirken die Umstände so auf den Einzelnen, dass er normalerweise gar nicht mehr darüber nachdenken muss, wie er sich verhält. Die Geschichte seiner individuellen Prägungen in den von ihm berührten Feldern hat ihn dazu werden lassen, was er gegenwärtig ist. Und zugleich verändern sein So-Sein ebenso wie die auf Grundlage dieses So-Seins mehr oder weniger gewählten Handlungen das soziale Feld.“ (Einführung in die Soziologie, München, 2011, S. 305).

Ausschnitt: Silvie Zürcher, Blaue Shorts, 2005/6, aus der Serie I Wanna Be a Son, Collage, 31,5 x 24,4 cm. Courtesy Silvie Zürcher.

Ausschnitt: Silvie Zürcher, Blaue Shorts, 2005/6, aus der Serie I Wanna Be a Son, Collage, 31,5 x 24,4 cm. Courtesy Silvie Zürcher.

In der Geschlechtertheorie spricht man seit den 1990er Jahren davon, dass die geschlechtliche Identität „performativ“ sei, – also nicht angeboren, sondern antrainiert. Es gibt viele Gründe, welche dafür sprechen, selbst wenn man nicht so weit geht, wie die amerikanische Sprachwissenschaftlerin Judith Butler, welche der Meinung ist, dass im Regime der Zwangsheterosexualität selbst die biologischen Manifestationen von Geschlecht aus den steten und aufgezwungenen Wiederholungen von kulturellen und gesellschaftlichen Prägungen im Körper entstehen.

Eines der Kapitel in der Ausstellung wird deshalb auch dem Thema „Männlichkeit als Maskerade“ gewidmet. Damit sind genau die Auffassungen angesprochen, welche Männlichkeit als Arsenal von Attributen und wechselnden Eigenschaften verstehen, mit denen man spielen kann. Und wenn man dies als Palette von Ausdrucksmöglichkeiten erkennt, dann kann natürlich jeder und jede sie sich aneignen: auch Frauen können dann männlich sein.

In diesem Sinne versteht die junge Künstlerin Silvie Zürcher ihre Serie I Wanna Be a Son (2005/6), in der sie ihr Gesicht in Medienbilder von jungen Männern montiert. Es ist ein Gedankenspiel, was es für sie bedeutet hätte, als Sohn geboren zu sein. Indem ihre Montage jedoch immer als Maske sichtbar bleibt, bleibt auch das schmerzliche Wissen bewusst, dass diese Transformation heute zumindest noch nicht so einfach gelingt. Stattdessen wird die Sehnsucht nach einer Welt sichtbar, in der es irgendwann keine Rolle mehr spielt, welche Art von Mann oder Frau wir sein wollen.

Veröffentlicht unter Blick hinter die Kulissen
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Autor

Kathleen Bühler

Kathleen Bühler, Kuratorin und seit 2008 Leiterin der Abteilung Gegenwartskunst am Kunstmuseum Bern. Sie kuratierte unter anderem die Ausstellungen «Merets Funken» (2012), «Das schwache Geschlecht. Neue Mannsbilder in der Kunst» (2013/14) und «Chinese Whispers» (2016).

Kommentare

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2 Kommentare

Kathleen Bühler
Dienstag, 17. September 2013, 16:18

Lieber Christian, es geht um das Männliche in jeder Form: biologisch, gesellschaftlich, als Wunschprojektion, als Fiktion, als Performance….
Lass Dich überraschen!

Christian Schnellmann
Dienstag, 17. September 2013, 15:48

Verstehe ich das richtig: Es geht in unserer Ausstellung gar nicht um den biologischen Mann?