Gemälde-Leihgaben im Grandhotel Giessbach seit 25 Jahren
Im Grandhotel Giessbach am Brienzer See werden seit dem 2. Mai 1989 23 Gemälde-Leihgaben des Kunstmuseums Bern ausgestellt. Zweimal im Jahr werden diese Kunstwerke von drei Mitarbeitern des Museums betreut. Eine Restauratorin und zwei Museumstechniker kontrollieren den Zustand der Kunstwerke sowie die Umgebungsbedingungen. Diese Dienstreisen finden jeweils zu den Wechseln von Sommer- und Wintersaison statt. Da das Hotel ausschliesslich in den Sommermonaten kontinuierlich Gäste empfängt, ist in den Wintermonaten eine Einlagerung der Gemälde notwendig.
Das Grandhotel in seiner heutigen Erscheinung wurde im Jahr 1884 nach Plänen des Architekten Horace Edouard Davinet erbaut und erfuhr zunächst eine Blütezeit im Zuge des international florierenden Schweiz-Tourismus. Als nach vielen Besitzerwechseln sowie wirtschaftlichen und baulichen Schwierigkeiten um 1980 Abrisspläne kund wurden, startete der als Naturschützer bekannt gewordene Franz Weber eine Rettungsaktion für die Erhaltung des schweizweit beliebten Hotels. Infolgedessen ging das Grandhotel 1983 in den Besitz der eigens gegründeten Stiftung „Giessbach dem Schweizervolk“ über und eine assoziierte Aktiengesellschaft finanzierte die Renovierung des Hotels.
Nach dem Abschluss der Renovierungsarbeiten wurde 1989 der Leihvertrag zwischen dem Grandhotel Giessbach und dem Kunstmuseum Bern für mehrere Gemälde von mehrheitlich Schweizer Künstlern aus der zweiten Hälfte des 19. und dem frühen 20. Jahrhundert unterzeichnet. Die Leihgabenliste umfasst heute 23 Gemälde, welche zumeist auf verschiedene Weise mit dem Hotel in Verbindung stehen. Sie hängen in fünf Gesellschaftsräumen im Erdgeschoss des Hotels: in der Eingangshalle, in den zwei Davinet-Sälen, im Giron-Saal und in der Bibliothek. Den kleinen Davinet-Saal schmücken zum Beispiel ein Portrait des Architekten von Wilhelm Balmer und Landschaftsgemälde von Gustave Castan aus der Privatsammlung des Architekten. Horace Edouard Davinet verband das Hotel und das Museum schon im 19. Jahrhundert, da er nach seiner Tätigkeit als Architekt ab 1891 mehrere Jahre den Posten des Direktors des Kunstmuseums Bern innehatte. Daher vermachte er auch einen Teil seiner Privatsammlung dem Kunstmuseum. Im grösseren Davinet-Saal sind Gemälde der Malerin Clara von Rappard zu finden, welche die Tochter eines der Hotelbesitzer war und zu einer wichtigen Vertreterin der regionalen Kunstszene wurde. Ihre Gemälde „Die Jungfrau im Nebel“ und „Bauernhaus in Wilderswil“ oder das Gemälde „Giessbachfall“ von Rudolf Snell stellen zudem Landschaften der näheren Umgebung des Hotels dar. Des Weiteren verdienen drei grossformatige Gemälde von Charles Giron besondere Aufmerksamkeit. Zwei Damen-Portraits begrüssen die Hotelgäste in der Eingangshalle und ein mit 4,15 mal 6,80 Metern riesiges Grossformat „Schwingfest in den Alpen“ hängt im hintersten Raum der Ausstellung, in der Bibliothek.
Die Präsentation der Gemälde im Grandhotel ist eine konservatorische Herausforderung. Zum einen sind in den fünf Hotelräumen der Tageslichteinfall durch die Fenster und die Klimaschwankungen von Temperatur und Luftfeuchtigkeit nicht zu vermeiden. Daher sind die Verglasung der Gemälde mit speziellem Museumsglas und das Anbringen eines Rückseitenschutzes aus säurefreiem Karton wichtige Voraussetzungen für die Präsentation. Zwar werden ultraviolette Strahlen des Tageslichts durch das Museumsglas gefiltert, jedoch liegt die Beleuchtungsstärke an sonnenreichen Tagen deutlich höher als unter Museumsbedingungen. Die Verpackung der Gemälde in einem Paket aus Rahmen, Glas und Rückseitenschutz bewirkt einen Schutz gegenüber Klimaschwankungen, indem die Luft innerhalb des Pakets verzögert auf diese reagiert. Zum anderen fehlen in den fünf Hotelräumen sowohl Abschrankungen vor den Gemälden als auch professionelle Aufsichtspersonen, welche die Hotelgäste zu einem angemessenen Umgang mit den Werken auffordern könnten. Auch hier stellt die Verglasung einen Schutz dar, da bruchsicheres Glas oder Plexiglas verwendet wurde. Nur das riesige Grossformat „Schwingfest in den Alpen“ besitzt aufgrund seiner Grösse keine Verglasung, sondern eine Abschrankung.
Sowohl im Frühling als auch im Herbst wird der Zustand der Gemälde und der Rahmen durch die Restauratorin kontrolliert. Dabei sind die üblichen Werkzeuge eine LED-Taschenlampe und bei Bedarf eine Lupenbrille. Neue Schäden werden dokumentiert. Bei den Gemälden gilt besondere Aufmerksamkeit den Schadensbildern Craquelé, aufstehende Malschicht und Malschichtausbrüche, die besonders im schräg einfallenden Streiflicht gut zu erkennen sind. Es handelt sich um Klimaschäden, welche signalisieren, dass Gemälde empfindlich auf die schwierigen Klimabedingungen reagieren. Diese Schadensbilder stellen ein wichtiges Kriterium für die Entscheidung dar, ob sie über den Winter im Museum einer Konsolidierung der Malschicht unterzogen werden müssen oder ob ihre Ausstellung im Hotel überhaupt weiterhin möglich ist.
Im Frühling führt die Restauratorin zusätzlich bei Bedarf Reinigungen der Verglasungen und der Rahmen durch. In der Zwischenzeit bewegen die beiden Techniker die Gemälde vom Winterlager in die Ausstellungsräume, kontrollieren die Aufhängungstechnik und setzen die Hängung sowie die mechanische Sicherung der Gemälde um.
Im Herbst kümmern sich die Techniker vorwiegend um die Einlagerung der Gemälde. Einlagerung bedeutet im Hotel, dass die Gemälde in dem dafür vorgesehenen Hotelraum auf Schaumstoffstreifen gestellt werden und unter der Verwendung von Abstandshaltern und Schutzkartons aneinander angelehnt werden. Kunstmuseen besitzen in ihrem Depot in der Regel bewegliche Gitterwände, auf denen jedes einzelne Gemälde separat hängen kann. Auch hier können im Hotel natürlich keine gängigen Museumsbedingungen erfüllt werden. Allerdings erfolgen für die winterliche Lagersituation Klimamessungen mit einem mechanisch laufenden, frisch kalibrierten Thermohygrographen, den die Hotelmitarbeiter bedienen, überwachen und gegebenenfalls das Klima beeinflussen. Zudem werden im Herbst bei präventivem, konservatorischem oder restauratorischem Handlungsbedarf einzelne Gemälde zurück nach Bern transportiert. Im vergangenen Winter konnten zum Beispiel die letzten beiden unverglasten Gemälde, die Damen-Portraits von Giron, endlich verglast werden. Bei diesen Grossformaten wurde aufgrund des möglichst gering zu haltenden Gewichts auf antistatisches und reflexfreies Plexiglas mit UV-Schutz zurückgegriffen.
Die seit 25 Jahren bestehende Zusammenarbeit von dem Grandhotel Giessbach und dem Kunstmuseum Bern ermöglicht die Ausstellung regionaler Kunst aus der Blütezeit des Schweiz-Tourismus in einem zeitgenössischen Ambiente und kann trotz erschwerten Präsentationsbedingungen für die Kunstwerke durch professionelle Betreuung vor Ort gewährleistet werden.
Veröffentlicht unter Blick hinter die Kulissen
Schlagwörter: Geissbach, Restaurierung, Sammlung