Publiziert am 20. Februar 2015 von Alexandra Blättler

Florian Germann

Florian Germann ist der Schamane der zeitgenössischen Schweizer Kunstlandschaft. Mit seinen oft gross angelegten Installationen öffnet der Künstler ein Feld historischer Ereignisse, mythologischer Bezüge, Halbfiktionen, phantastischer Märchen und wissenschaftlicher Fakten. In der Folge sollen einige wenige Exkurse ins Werk des Thurgauer Künstlers Florian Germann gemacht werden, um schlussendlich die beiden für die Stiftung Kunst Heute angekauften Skulpturen zu kontextualisieren.

Florian Germann bedient sich ausserordentlicher Materialien und überführt diese in alchemistische Prozesse, was in der Geschichte der Kunst tief verankert ist. So faszinieren ihn Bodenschätze, so genannte Reichtümer, die sich z.B. in den Tiefen der Berge in Reinform verbergen, wie Eisen, Blei, Kupfer, Zink und Schwefel. So erzählte er zum Beispiel schon Geschichten rund um den wohl berühmtesten Heerführer der Geschichte: Napoleon.

Selber beschreibt Germann seine Arbeitstechnik mit den treffenden Worten, dass er eine „innere Bibliothek durchschreite, um noch nicht kombinierte Möglichkeiten aufzuspüren“. Dieser Ausspruch ist in keiner Weise naiv – und doch erinnert er an eine jugendliche Frische voller Entdecker- und Forscherlust einerseits und an ein über Jahre hinweg entwickeltes Repertoire an Wissen und Erlebtem andererseits. Der Betrachter wird Zeuge der Transformation einer historisch epischen Geschichte und eines dynamischen materiellen Arbeitsprozesses gleichzeitig. Mit anderen Worten: Germann lotet nicht nur die Kombinationen verschiedener historischer Gegebenheiten aus, sondern es spielen Materialfindung und Transformation von Energie und Material eine genauso grosse, wenn nicht grössere Rolle.

Florian-Germann

Florian Germann, Untitled (Der Werwolf von Wien), 2009. 2 Pneu, Plexiglas, PVC, Chromstahl, Glas, Silbermünzen, amerik. Walnuss, Verstärker, 192 x 160 x 160 cm. Kunstmuseum Bern, Schenkung Stiftung Kunst Heute

Der Künstler eignet sich gefundene oder filigran nachkonstruierte Gegenstände und Relikte an und verwebt die damit überlieferten Geschichten, die sich ihrerseits durch die neue Anordnung im Kunstwerk verlieren und neu aufladen.

Aber auch schon ein Autowrack im Oberlichtsaal des Kunsthaus Glarus spielte 2010 die Hauptrolle. Während einiger Monate hing dieses in den Lüften und veränderte fast unsichtbar und unbemerkt seine skulpturale Erscheinung. Was davon übrig blieb, ist die Dokumentation einer der Eröffnung vorangegangenen Aktion, die den vorläufigen, referenzreichen Titel Austerlitz (Ähnlichkeit zu einer Auster und Referenz auf Napoleon) erhielt, was zum Vorboten der grossen Einzelausstellung im Migros Museum wurde.

Germanns Werk lässt sich in seiner Materialverschriebenheit und Prozesshaftigkeit klar in der Tradition eines Beuys, der individuellen Mythologien und des Genie-Kultes ansiedeln. Der primär literarischen Prägung und Ausrichtung seiner Arbeiten kann eine zusätzliche Verschriftlichung absurd entgegen wirken. Es mag vor allem daran liegen, dass das Erfassen dieser multiplen Vielschichtigkeit fast nur in seiner Ganzheit und weniger in der sezierenden Analyse gerettet werden kann.

Die beiden für die Stiftung Kunst Heute angekauften Skulpturen „Untitled (Der Werfwolf von Wien)“ aus 2011 vereinen Materialien (Eisen, Glas, Silber und Kunststoff) die traditionell dem Werwolf zugeschrieben werden. Während den Aufbauarbeiten und am Eröffnungsabend hat der Künstler entsprechende Aktionen bewerkstelligt, die als Spuren an den Objekten sichtbar bleiben. Die beiden Arbeiten stammen aus einer Serie von Werken zur fabelhaft-mysteriösen Figur des Werwolfs. So dient zum Beispiel die eine Arbeit als Leuchtturm, um Werwölfe anzulocken. Der Künstler selber umschreibt es in der Ausstellung wie folgt:

„Silber wird in der Kryptozoologie als Bannungsmittel zur Aufhebung der Lykanthropie (siehe Zeichnungen) verwendet. Der Hammer dient als Instrument, um einen Ton in der Silbermembrane im Verstärker auszulösen. Die Glasskulptur ist zum Teil mit einer lumineszenten (Phosphor) Flüssigkeit gefüllt. Diese bringt die Silbermünze im oberen Teil der Skulptur zum leuchten.”

Sollen wir das alles glauben? Wussten Sie, liebe Leserinnen und Leser, dass Silber das einzige Mittel ist, um Werwölfe zu töten?

Diese handwerklich perfekten Skulpturen, die das Auge durch ihre Präzision verführen, diese ausschweifenden Geschichten, die drum rum gebaut und erzählt werden, das Lavieren zwischen Bluff und Wissen, zwischen Erzählung und Dichtung sind Aspekte, die das Werk von Florian Germann einmalig machen und uns überzeugten, die Chance nicht zu verpassen, diese beiden herausragenden Skulpturen für die Sammlung der Stiftung Kunst Heute zu sichern. Denn welcher Künstler kokettiert auf solch wunderbare Art und Weise mit dem Begriff des Künstler-Forschers und ist einmal ein Hofnarr und das andere Mal ein Universalgelehrter.

Die beiden Werke von Florian Germann sind noch bis zum 26. April 2015 in der Ausstellung «Im Hier und Jetzt! Schweizer Kunst der letzten 30 Jahre aus der Sammlung Kunst Heute» zu sehen. Am Sonntag, 22. Februar 2015, spricht Alexandra Blättler an einem öffentlichen Rundgang mit dem Künstler.

Veröffentlicht unter Gastbeitrag
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Alexandra Blättler

Kunsthistorikerin und Kuratorin. 2004-2013 Kuratorin der Stiftung BINZ39 in Zürich, seit 2006 Leitung Raum für zeitgen. Fotografie der Volkart Stiftung (Coalmine) in Winterthur. Regelmässig Ausstellungen für die Gebert Stiftung für Kultur in Rapperswil und freie kuratorische Projekte, wie zum Beispiel die Klöntal Triennale. Preisträgerin des Swiss Art Awards 2011 und des Kunstvermittlerpreises der Stadt Zürich 2013. 2007-2013 Mitglied der Ankaufskommission der Stiftung Kunst Heute.

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