Publiziert am 4. April 2014 von Claudine Metzger

Die Pinseldirektätzung

Markus Raetz arbeitet vor allem mit den Medien Zeichnung, Skulptur und Druckgraphik. Mit über 350 druckgraphischen Werken nimmt diese Gattung in seinem Schaffen einen sehr wichtigen Platz ein. Er interessiert sich dabei nicht nur für die Möglichkeiten zur Reproduktion von Bildern, sondern auch für die Merkmale und Besonderheiten der Drucktechniken selbst. Manchmal lässt er sich von der Technik zu Werken inspirieren. Diese Verbindung von drucktechnischem Verfahren und Bildinhalt lässt sich am Beispiel der Pinseldirektätzung gut beschreiben, die Markus Raetz für die Produktion der Landschaften in der Mappe «NO W HERE» (1991) eingesetzt hat.

Die Pinseldirektätzung ist eine Sonderform der Radierung, bzw. der Aquatinta. Während die Radierung für lineare Darstellungen besonders geeignet ist, können mit der Aquatinta auch flächige Formen gedruckt werden, die unter Umständen aussehen, wie mit Tusche gemalt. Dafür wird die Kupferplatte zuerst mit einer Staubmaschine, mit einem Sieb oder Staubbeutel mit pulverisiertem Kolofoniumsalz oder Asphaltstaub bestäubt. Die Beschaffenheit des späteren Druckrasters hängt von der Dichte und Grösse der Staubkörnchen ab. Durch Erwärmung der Platte wird die Kornschicht auf die Metalloberfläche angeschmolzen. Danach ist die Platte mit einem säurewiderständigen Harz- bzw. Asphaltnetz überzogen. Die Säure kann nur in den winzigen Kornzwischenräumen das unbedeckt gebliebene Metall angreifen und dort die Darstellung ätzen, die später dann die Druckfarbe aufnehmen wird.

Bei der Pinseldirektätzung setzt nun der Künstler nach einem gedanklich festgelegten Plan mit einem in hochprozentige Salpetersäure getauchten Pinsel wenige Striche quasi blind direkt auf die vorbehandelte Platte. Damit gelingt es ihm, die Illusion einer Landschaft zu erzeugen. Die räumliche Tiefe entsteht durch die verschieden lange Einwirkzeit der Säure auf das Kupfer. Nahe Teile der Landschaft werden zuerst «gemalt», entferntere Teile später. So wird die Luftperspektive mit ihren weichen Übergängen von der zeitlichen Abfolge im Ätzvorgang erzeugt. Es sind keine Abbildungen von realen Landschaften, sondern Bilder von erinnerten, imaginierten und inneren Landschaften, die aus der verwendeten Technik heraus entstehen und wie der Titel sagt, «nirgendwo» (nowhere) und doch «jetzt hier» (now here) sind.

Talsohle-im-Gegenlicht

Markus Raetz, Eine baumbewachsene Talsohle im Gegenlicht, 1991, 1991, Aquatinta in Farbe (2 Platten, Direktätzung mit dem Pinsel), 29,6 x 39,7 cm, Kunstmuseum Bern, Schenkung von Markus Raetz. © 2014, ProLitteris, Zürich.

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Autor

Claudine Metzger

Claudine Metzger, *1967 in Luzern. Studium der Kunstgeschichte, Ethnologie und Neueren Geschichte an der Universität Zürich. 2000-2005 wissenschaftliche Assistentin in der Kunstabteilung des Museums zu Allerheiligen Schaffhausen. Seit 2005 als wissenschaftliche Mitarbeiterin / Kuratorin am Kunstmuseum Bern für die Graphische Sammlung verantwortlich. Ausstellungen und Publikationen zur Kunst des 20. Jahrhunderts bis heute.

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