Publiziert am 13. August 2018 von République Géniale

Countdown:
Noch 4 Tage bis zur Ausrufung der Republik

Ab 17. August 2018 wird im Kunstmuseum Bern die Republik ausgerufen und zwar die geniale Rebublik! Diese basiert auf einer Idee des französischen Künstlers Robert Filliou und entsteht immer dann, wenn sich freie Geister treffen und austauschen, Kunst und Denken Grenzen überschreiten und das Kind in uns zum Spielen kommt.

Das Kurator*innen-Team der République Géniale stellt in einem kurzen Interview seine Überlegungen vor und skizziert, was in den nächsten drei Monaten zu erwarten ist.

Interview mit Valerian Maly

Filliou-One

Robert Filliou (1926 – 1987), EINS. UN. ONE… (1984) Painted wooden dices of different colours and sizes Mamco Musée d’art moderne et contemporain, Genève

Welchen Bereich hast du in der République Géniale kuratorisch/organisatorisch betreut?
Als Teil eines Co-KuratorInnen-Teams, das sich aus Fachleuten der verschiedenen Disziplinen zusammensetzt, versuchen wir im Geiste Robert Fillious etwas abzuheben, und aus der Distanz von 1 Meter über dem Boden das Territorium der Republique Géniale zu besiedeln: « Le Territoire de la République Géniale est un territoire comme tous les autres (le tien, le mien, le nôtre, le leur) mais une définition au-dessus du sol » Robert Filliou, 1971. Das heisst, wir kommen alle aus verschiedenen Fachbereichen, aus der Kunstwissenschaft, Architektur, Tanz, Musik und ich aus einem Feld, das von Beginn an die genannten Bereiche «expanded», also erweitert gedacht hat: der Performance Art und der experimentellen Musik, der Sound Art. Meine kuratorischen Beiträge betreffen vor allem die LIVE ART, die dynamischen Ereignisse, die die Performances, Sound Art, aber auch EAT ART und TEACHING AND LEARNING umfassen. Das Filliou’sche Poïpoïdrom, der Versammlungs- und Palaverplatz steht symbolisch aber auch ganz real im Zentrum all dieser Aktivitäten.

Was beinhaltet das? Welche künstlerischen Beiträge kommen durch dich dazu?
Zum einen interessiert mich wie man Werke der 1960er und 1970er Jahre heute zur Aufführung bringt. So spannen wir für die Wiederaufführung von John Cage’s legendärem Réunion-Schachspiel Stück aus dem Jahr 1968 mit Meister*innen des Schachclub Bern zusammen und realisieren das Stück für interaktives Schachbrett und live-elektronische Musik mit zeitgenössischen Komponist*innen. Zum anderen ist gerade das Werk und das Wirken von Robert Filliou eine stete Herausforderung, die heutige zeitgenössische Kunstpraxis zu reflektieren. Was heisst die Enthierarchisierung denn konkret, wenn Zuschreibungen wie «bien fait» – «mal fait» – «pas fait»… gleich-wertig, ja sogar gleich-gültig sind? Welchen Platz nimmt denn beispielsweise das kreative Scheitern, das Experiment («mal fait») oder das nicht abgeschlossene, das nicht mit «Firnis» und Zertifikaten versiegelte, das noch nicht hergestellte Werk («pas fait») ein? Ich denke, das sind Fragen, die nichts an Relevanz verloren haben, nur heute anders situiert und diskutiert werden. So wird beispielsweise die viel publizierte Partitur L’Immortelle Mort Du Monde / The Deathless Dying of The World, ein «Auto (also ‚Selbst’)-Theater» von Robert Filliou aus dem Jahr 1960 erstmals tiefgehender recherchiert und zur Aufführung gebracht: Im Sinne eines «living archives» wird auch Arnold Dreyblatt die Sitzungsprotokolle der von Joseph Beuys, Klaus Staeck, Heinrich Böll, und weiteren Mitstreitern gegründeten, aber nie realisierten «Free International University» in seinen Protocols of the Future zu einer szenischen Lesung verdichten. Die junge Genfer Künstlerin Angela Marzullo bezieht sich in B-side / Back- Office Feminism / Transcription Marathon auf traditionelle Strategien des Wissenstransfers, den sich die Feminstinnen der 1970er Jahre zu eigen machten. Nicht weniger gewichtig, aber augenzwinkernd als «Hors d’oeuvre» zur Mittagszeit angekündigt, sind Lecture-Performances wie beispielsweise die von Peter Radelfinger, der Ein Brötchen für Filliou bäckt. Mit dem Erbauen und dem Betreiben des EAT ART Corner und dem Sarasani Zelt nehmen wir «learning by building» wörtlich, und die eingeladenen EAT ARTisten nehmen uns mit auf ihre fantastischen Expeditionen in die République Géniale. Und «Ein Dickes Ende» versprechen die beiden Performer Florian Feigl und Joern J. Burmester aus Berlin mit ihrem elfstündigen Performance-Reigen am 11. November.

Inwiefern haben diese direkt oder indirekt etwas mit Robert Filliou zu tun?
Wir stellen nur ein einziges Werk von Robert Filliou aus: Eins. Un. One., 1984 besteht aus 5000 Würfeln unterschiedlicher Formate und Koloraturen, die alle aber auf jeder Seite nur einen Punkt haben. Auch hier der Verweis auf die Äquivalenz der Werte, aber auch auf die immer währende Veränderung: denn Eins. Un. One., wird sich bestimmt im Verlauf der Ausstellungsdauer verändern. Zentraler Aspekt des gesamten Filliou’schen Werkes, und somit auch der République Géniale, ist das Spielerische, das Spiel, die «fête permanente». Das mag erstmal paradox erscheinen, kennen wir doch Spiele in erster Linie als kompetitive Austragungen. Grundlage und Bedingung aber eines jeden Spiels ist das Spielen auf Augenhöhe. Dem Spiel und den experimentellen Künsten ist einiges gemeinsam: Basis ist das Unvorhersehbare, das Unkalkulierbare, der bewusste Einbezug des Risikos und das Unmittelbare, nicht wiederholbare im «hier und jetzt».

Was war das Schöne oder das Schwierige an deiner Arbeit?
Dass sich eine Institution wie das Kunstmuseum Bern auf eine so experimentelle Bespielung der Räumlichkeiten überhaupt einlässt, ist einmalig und mutig! Es handelt sich ja nicht im herkömmlichen Sinne um eine Ausstellung, sondern eher um einen dreimonatigen, sich ständig verändernden Ausstellungs- und Ereignisreigen – oder, um mit Filliou zu sprechen, um eine «création permanente». Dabei gilt es das Publikum im Auge zu behalten, aber auch hochgesteckte Erwartungen an ein durch den Hauptstadtkulturfonds gefördertes Projekt einzulösen. Was mich froh stimmt: Eine Berner Sammlerin bekundete mir erst vor ein paar Tagen, sie freue sich sehr auf die République Géniale, denn «Bern muss ab und zu gekitzelt werden, sonst schläft es ein». Das Schwierige daran ist aber eben auch, diese «création permanente» im Sinne des Filliou’schen Humors aufrechtzuerhalten; Die Zeiten sind anders: durchgetaktet, modularisiert, durchkalkuliert. Für die République Géniale gibt es kaum vorgefertigte Schablonen, die nachgezeichnet werden können. Alles muss neu gedacht, neu situiert werden. Robert Filliou (1926–1987) ist Kind seiner Zeit, Kunst galt als elitär und sollte deshalb mit dem Leben verbunden werden. Mir stellen sich dabei aktuell schon Fragen, ob nicht die Kunst doch wieder etwas vom Leben abgekoppelt, ihr ein autarker Raum zugestanden werden sollte. Das müssen keine Refugien sein, wie es die ehrwürdigen alten Hallen der Kunstmuseen waren, aber eben 1 Meter überm Boden – das ist die République Géniale – schwebend, flottierend, im besten Sinne unvorhersehbar. Nebst all dem Spass, den wir als Team hatten war einer der schönsten Momente der Vorbereitung die Besprechung vor Ort mit dem Fahnenschwinger, Herr von Allmen aus Kehrsatz: Ungeahnt hat das ganz viel mit dem Filliou’schen Kosmos zu tun. Das Fahnenschwingen besteht aus 99 frei zusammenstellbaren Schwungkombinationen: Eine Kombinationskunst also, wie sie Filliou ähnlich mit seinem Auto-Theater L’Immortelle Mort Du Monde angedacht hat.

Wie hast du deine kuratorische/organisatorische Rolle verstanden?
«Sieh dein rechtes Auge mit deinem linken Auge» (Nam June Paik): Als Performance-Künstler und Kurator für Performance Art gilt es auf Augenhöhe, aber schielend zu agieren, mit anderen Künstlern, mit dem Publikum, mit «all den wenigen» (Norbert Klassen), die sich wirklich und vertieft für Phänomene der Performance Art interessieren. Auf dem linken Auge Künstler, auf dem rechten Auge Kurator und irgendwo im schielenden Kreuzungspunkt findet das eigentliche Ereignis, das Experiment statt. Im Sinne des «Pflegenden» – so die Übersetzung des Wortes Kurator – versuche ich eine gewisse Traditionspflege für experimentelle, ergebnisoffene Künste zu etablieren. Das heisst konkret, auch die Bedingungen, aus denen diese Formen entwachsen sind, mitzudenken und zu vermitteln. Man muss sich für unkonventionelle Zeiten und Räume – denn um nichts Geringeres als Zeit und Raum geht es eben meistens – einsetzen.

Auf was freust du dich ganz besonders in den kommenden drei Monaten?
Auf die Zusammenarbeit, auf das Entdecken des noch Verborgenen, auf ungeahnte Zusammenkünfte. Und selbstverständlich: Auf das gemeinsame Erleben mit dem Publikum. Und ich hoffe sehr, dass ich zum Ende hin den tieferen Gehalt des Titels von Robert Fillious Auto-Theater L’Immortelle Mort Du Monde / The Deathless Dying Of The World wirklich verstanden habe… für mich ist dieser Titel ein tägliches Rätsel.

Was wünschst du dir, was das Publikum für sich mitnimmt?
Publikum meint ja nichts anderes, als «der Allgemeinheit gehörig». Wenn sich der Gedanke der Republik (res publica), gar der République Géniale in sehr spannungsgeladenen Zeiten, in denen wieder ungehemmt nicht nur Gartenzäunchen von einzelnen Autokraten hochgezogen werden, wenn sich da über die Leichtigkeit des Spielerischen auch ein Nachdenken über den «commen sense» einstellt, ist schon etwas gemeinsam gewonnen.

Das gesamte Programm der République Géniale ist unter www.republiquegeniale.ch online

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République Géniale

Anhand dieser Blogartikel, Interviews und Videos von und mit den Beteiligten wird fortlaufend dokumentiert und reflektiert, was in der «République Géniale» stattfindet.

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