Publiziert am 16. Mai 2014 von Johannes Stückelberger

Bill Violas Spiritualität

„Bill Viola knüpft mit seinen meditativen Werken an die grossen spirituellen Traditionen aus Ost und West an“, schreibt Kathleen Bühler in ihrem Blog vom 9. April. In meinem Vortrag im Münster am 8. Mai habe ich versucht, Violas Spiritualität näher zu fassen. Nicht, indem ich die Traditionen aufzeigte, aus denen sie sich speist, sondern indem ich fragte, wie sie in seinen Arbeiten sichtbar wird. Mir ist dabei aufgefallen, dass in vielen Werken Violas das Atmen eine wichtige Rolle spielt. In der im Kunstmuseum Bern gezeigten Arbeit „The Passing“ hört man über Minuten die ruhigen Atemzüge des schlafenden Künstlers, die zu den Bildern der auf dem Totenbett liegenden, nicht mehr atmenden Mutter, einen Kontrast bilden. Geburt und Tod – und dazwischen das Leben – sind Violas zentrale Themen. Viele seiner Arbeiten folgen der Struktur eines Triptychons, dessen drei Teile für Geburt, Leben und Tod stehen.

Mit der Geburt tut der Mensch den ersten Atemzug, mit dem Tod den letzten. Doch ist das Leben damit zu Ende? Nach Violas Auffassung nicht. Er spricht von drei Lebenswelten: der Welt der Ungeborenen, der Toten und der Lebenden. Dabei spielt bei ihm auch der Gedanke der Wiedergeburt eine Rolle. Aber nicht in dem Sinn, dass das Individuum ein ewiges Leben hat, sondern so, dass der Mensch an sich unsterblich ist. Wenn das Individuum auf dem Sterbebett seinen letzten Atemzug tut, ist das Leben nicht einfach zu Ende. Dann wird der Mensch vielmehr Teil eines grösseren Atems. Dieser Grosse Atem, der sich wie ein roter Faden durch Violas Werk zieht, hat Züge eines Gottesbildes.

Viola_The_Passing

Bill Viola, The Passing, 1991. In Erinnerung an Wynne Lee Viola, Video, Schwarzweiss, Mono, 54 Minuten, Kunstmuseum Bern, Bernische Stiftung für Foto, Film und Video, Bern, Foto: Kira Perov © Bill Viola Studio

Viola glaubt nicht an einen persönlichen Gott. Aber er thematisiert immer wieder diesen Grossen Atem, der das Prinzip Leben verkörpert. In der Arbeit „Three Women“ im Münster tauchen drei Frauen aus einem grauen Dunkel auf. Im Moment, da sie einen Wasservorhang durchschreiten, werden sie farbig. Die Transformation kann als Metapher gelesen werden für Geborenwerden, für den Eintritt ins Leben. Vielleicht aber auch umgekehrt für das Sterben, für das Eintreten in ein anderes Leben, ein Leben im Paradies. Viola lässt dies offen, es kann beides sein.

Auch die – ebenfalls im Münster gezeigte – Arbeit „Study for Emergence“ zeigt den Lebenszyklus von Geborenwerden und Sterben. Die Darstellung ist irritierend, da das, was auf den ersten Blick wie eine Auferstehung aussieht – in Anlehnung an die ikonographische Tradition von Auferstehungsbildern -, wiederum übergeht in einen neuen Tod. Kaum ist der Mensch ganz aus dem Grab aufgetaucht, sackt er bereits wieder tot in sich zusammen. Viola denkt das ewige Leben nicht linear (Geburt – Tod – ewiges Leben), sondern zyklisch (Geburt – Leben – Tod – Geburt etc.).

1994 realisierte er eine Arbeit mit dem Titel „Pneuma“: eine Rauminstallation, in der der Betrachter ganz von Bildern umgeben ist. Pneuma ist das griechische Wort für Atem, bedeutet aber auch Geist. Viola will in dieser Arbeit Spuren jenes Grossen Atems sichtbar machen, der alles durchwirkt, im Jenseits, aber auch im Diesseits. „Deep Seeing“ nennt er diese Methode des Sichtbarmachens. Das Tief-Sehen ist Violas Spiritualität.

Veröffentlicht unter Gastbeitrag
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Johannes Stückelberger

Johannes Stückelberger, PD Dr. phil., Kunsthistoriker, Dozent für Religions- und Kirchenästhetik an der Theologischen Fakultät der Universität Bern. Autor von u.a. „Rembrandt und die Moderne“ (1996), „Wolkenbilder. Deutung des Himmels in der Moderne“ (2010).

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