Publiziert am 23. März 2014 von Martin Brauen

Bill Viola: The twin peaks of inner vision and outer ability and the gap between them

„Sie werden sehen, dass ich Ihnen den allerersten Abschnitt weggekürzt habe…“ – so schrieb mir die Lektorin meines Beitrags zur Ausstellung Bill Viola: Passions. „Ich kann Ihnen folgendes vorschlagen. Das Museum betreibt seit einiger Zeit einen sehr gut besuchten Online-Blog, welcher jeweils ausstellungsbegleitend Informationen und Anekdoten zum aktuellen Museumsalltag beleuchtet. … Deshalb möchte ich Sie anfragen, ob Sie ihre  persönliche Beziehung zu Bill Viola, wie sie sich kennen lernten und wie es letztlich zu dieser Ausstellung kam, in diesem Blog anstatt in ihrem Essay publizieren möchten?“

Ich muss gestehen: Ich habe unzählige Bücher und Artikel verfasst – aber noch nie einen Blogbeitrag. Was schreibt man in einem solchen? Eben Anekdoten? Dinge, die sonst nirgends hineinpassen? Das, was als unwissenschaftlich gilt, Triviales? Persönliches? Nun, ich versuche es einfach einmal und freue mich auf Rückmeldungen:

2008 waren meine Frau und ich von Beverley Zabriskie, einer uns bekannten New Yorkerin, in ihr Ferienhaus in der Nähe von Rhinebeck (NY) eingeladen worden. Im Wohnzimmer lagen auf einem Sofatisch einige grossformatige Bücher. Ich begann in einem zu blättern – und fühlte mich magisch angezogen. Zu sehen waren grossformatige Standbilder aus Videos von Bill Viola, die mich wegen ihrer Ästhetik, der besonderen Bildkonstruktion und der Farben in ihren Bann zogen. Zugleich fühlte ich, und dies war wohl der Hauptgrund meines Interesses, dass diese Werke von einem Künstler geschaffen worden waren, dem Spiritualität und die Darstellung von Gefühlen/Emotionen wichtig sind, ein Künstler, der mit Bildern innere Landschaften darstellt und nach dem tieferen Sinn des Lebens zu fragen scheint.

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Bill Viola (Mitte) und Kurator Martin Brauen in der Ausstellung «Grain of Emptiness» im Rubin Museum of Art, New York. Foto: Michael J. Palma, RMA.

Von diesem Moment an liess mich die Idee nicht los, einen dieser Videos in eine von mir geplante Ausstellung über Leben und Tod (Remember That You Will Die) im Rubin Museum of Art, New York, wo ich als Chefkurator tätig war, zu integrieren. Er sollte Bindeglied sein zwischen den asiatischen und den europäischen Darstellungen des Todes. Ich kontaktierte Bill Viola und seine Frau Kira Perov, traf sie im Februar 2009 in Long Beach (CA) und wir einigten uns darauf Three Women in der geplanten Ausstellung zu zeigen. Seither stehen wir in Kontakt. Ich traf Bill Viola zweimal in New York – einmal zusammen mit seinem guten Freund Peter Sellars und einmal anlässlich einer Ausstellungsbesichtigung, an der auch Wolfgang Laib teilnahm.  Nach meiner Tätigkeit in New York schlug ich Bill Viola vor, im Berner Münster einige seiner Videos zu zeigen – und damit sein Werk in der Schweiz bekannter zu machen. Die eigentliche Planung begann im September 2012, als ich ihm eine Liste von fünf seiner Werke vorlegte, die ich im Berner Münster gerne zeigen würde. Es folgten Gespräche mit dem Berner Videokünstler Peter Aerschmann, mit dem leider viel zu früh verstorbenen Daniel Eicher (ehemals Präsident der Stiftung GegenwART), seinem damaligen Mitarbeiter und späteren Nachfolger Christian Beck, mit Felix Gerber, dem Sigrist des Berner Münsters, und anderen, die – unter zeitlichem und enormem finanziellem Druck – im Berner Münster ‚den Alltag schmeissen’, so Maja Zimmermann, Beat Allemand, Daniel Glaus und Verena Furrer. Bald realisierte ich, dass ich einen ‚kuratorischen’ Partner brauchte. Progr oder Kunstmuseum? Als ich feststellte, dass sich Kathleen Bühler vom Kunstmuseum begeistern liess, sich für das ambitionierte Vorhaben voll einzusetzen, wusste ich, dass ich die geeignete Partnerin gefunden hatte.

Der Weg war nicht immer einfach und geradlinig. Mehr als einmal kam mir die Zeichnung Bill Violas von zwei sich leicht überlappenden Berggipfeln in den Sinn, die er mir bei der Besprechung des Münster-Projektes geschenkt hatte und die Legende trägt: „The twin peaks of inner vision and outer ability and the gap between them.“ Die Lücke zwischen innerer Vision und äusserer Fähigkeit, zwischen Wollen und Können schien manchmal unüberwindbar gross zu werden, doch heute sind die beiden ‚Berge’ glücklicherweise beinahe deckungsgleich, nicht zuletzt wegen des guten Willens aller Beteiligten. Mein Dank geht an alle sie und vor allem an Kira und Bill und an das Team des Kunstmuseums Bern, das mit viel Elan und grosser Professionalität das Projekt umgesetzt hat.

Die Zusammenarbeit zwischen dem Münster und dem Kunstmuseum war und ist ein Experiment, und Videos eines weltbekannten Künstlers in einer Kirche zu zeigen stellt eine zusätzliche Herausforderung dar, ist sich doch Bill Viola gewohnt, seine Werke meistens in abgedunkelten Räumen zu zeigen. Im Münster aber konkurrieren sie mit den wunderbaren farbigen Glasfenstern. Wie Rolf Dähler, Burgergemeindepräsident, in seiner Einleitung zur Broschüre schreibt, ist dieses Nebeneinander von Alt und Neu ein spannendes Wagnis. Wie werden die Werke Bill Violas im nicht alltäglichen ‚Setting’ aufgenommen?

Bill Viola sagte einmal, er empfinde es als sehr befriedigend, wenn seine Werke ein Eigenleben entwickelten und andere Menschen sie verwendeten, um eigene Ziele und Wünsche zu erfüllen und dabei einen inneren Wandel erlebten, der sich wieder auf andere übertragen möge. In diesem Sinn ist diese Doppelausstellung im Berner Münster und im Berner Kunstmuseum zu verstehen: Mein Ziel ist es, das einmalige Werk Bill Violas möglichst vielen näher zu bringen – in der Hoffnung dies werde bei der einen oder anderen Person ähnliches auslösen wie bei mir, als ich zum ersten Mal Werke Bill Violas zu sehen bekam: das Bedürfnis zu empfinden, diese besondere Bildsprache kennen zu lernen und zu verstehen oder zumindest zu fühlen, was sie ausdrücken will.

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Zeichnung von Bill Viola

Veröffentlicht unter Gastbeitrag
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Martin Brauen

Martin Brauen, Ethnologe und Kurator, arbeitete 35 Jahre am Völkerkundemuseum der Universität Zürich und 4 Jahre als Chefkurator am Rubin Museum of Art, New York. Er kuratierte insgesamt gegen 100 Ausstellungen.

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