Begegnung mit Urs Jaeggi
Während ihrer Reise nach Berlin hat die BKG in zahlreichen Ateliers Halt gemacht. So etwa bei Urs Jaeggi, der uns in seinem für Kulturschaffende in Berlin typischen Atelier empfängt: einem früheren Gewerberaum in einem Backsteinbau in Wilmersdorf. Jaeggi, emeritierter Professor der Soziologie, Schriftsteller und bildender Künstler in einem, ermöglicht uns bereitwillig Einblick in sein Leben und Wirken.
1931 in Solothurn geboren, verlor er im Alter von elf Jahren seinen Vater, entschloss sich deshalb nach der obligatorischen Schulzeit für eine Banklehre, arbeitete anschliessend während fünf Jahren als Bankkaufmann, betätigte sich bereits als Journalist und Schriftsteller und holte gleichzeitig die Matur nach. An der Uni Bern promovierte er in Soziologie und Ökonomie; etwas später folgte die Habilitation mit anschliessender Gastprofessur. 1966 nahm er einen Ruf an die neugegründete Ruhr-Universität in Bochum an, und nach einem Abstecher nach New York als Gastprofessor an der ‚New School for Social Research’ war er über 20 Jahre Ordinarius am Institut für Soziologie der Freien Universität Berlin.
Die Liste seiner wissenschaftlichen Publikationen ist umfangreich, genau so wie jene seines belletristischen Schaffens – Romane, Essays, Lyrik – das mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet wurde, unter anderem 1981 mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis.
Urs Jaeggi betont, dass das Nebeneinander von Lehre, Forschung und literarischem Wirken voll zu Lasten seiner Freizeit ging. Der bildenden Kunst konnte er sich erst nach seiner Emeritierung vor gut 20 Jahren voll und ganz zuwenden. Verschiedene Objekte in seinem Atelier – kleinere und grössere Skulpturen aus Metall und Holz, Malereien in Aquarell und Acryl – sind Vorboten einer kommenden Ausstellung oder Installation in den roh belassenen Räumen einer ehemaligen Klinik, wobei der Künstler Spuren von Vandalismus, zum Beispiel aufgespitzte Kabelleitungen, deren Kupferdrähte verhökert wurden, in seine Installation einbezieht.
Ein weiteres Interesse Jaeggis gilt der urbanen Architektur. So war er 1993 zusammen mit seinem Freund Peter Zumthor massgeblich beteiligt am siegreichen Projekt für das NS-Dokumentationszentrum ‚Topographie des Terrors’ in Berlin, das allerdings wegen massiver Kostenüberschreitung schliesslich nicht ausgeführt werden konnte. Mexiko-Stadt, wo er mit seiner aus Mexiko stammenden Partnerin jeweils die Wintermonate verbringt, scheint ihn durch das Nebeneinander verschiedenster Baustile ganz besonders zu faszinieren.
Nach gut anderthalb Stunden verlassen wir das Atelier, beeindruckt vom reichen Spektrum und von der Schaffenskraft dieser immer noch rüstigen Persönlichkeit.
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Schlagwörter: Berlin, BKG, Kunstreise