Publiziert am 17. März 2020 von Annina Pandiani

Alles zerfällt: Werke im Fokus #3 – Max Buri, Wilderer

Die Texte in dieser Blog-Reihe nehmen ausgewählte Werke ins Visier, die derzeit im Rahmen der Ausstellung Alles zerfällt. Schweizer Kunst von Böcklin bis Vallotton im Kunstmuseum Bern zu sehen sind. Sie erscheinen in loser Folge während der Laufzeit der Ausstellung. Mit der Idee, fortgeschrittene Studierende der Kunstgeschichte der Universität Bern sowie junge Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker zu Textbeiträgen einzuladen, soll die Diskussion über die Themen (und Thesen) der Ausstellung angefacht und weiterentwickelt werden. Die Schreibenden erläutern die Kunstwerke, befragen sie aber auch und schlagen neue Lesarten vor. Dabei wird deutlich, dass die Sammlung des Kunstmuseums Bern keine statische Masse ist, sondern ein gewaltiger und dynamischer Speicher, dessen versteckte Geschichten freigelegt werden, sobald man anfängt, sie aktiv zu erforschen.

Max Buri, Wilderer, 1909, Öl auf Leinwand, 84 x 61 cm. Kunstmuseum Bern, Verein der Freunde

Max Buri, Wilderer, 1909, Öl auf Leinwand, 84 x 61 cm. Kunstmuseum Bern, Verein der Freunde

Max Buri, Wilderer, 1909

Die Hände in sich ruhend übereinandergelegt und auf dem Griff des Spazierstocks abgestützt, sitzt der Dargestellte seitlich am Tisch, den rechten Ellenbogen auf der Tischplatte. Diese ist in ihrer Farbigkeit dem Graublau des Hintergrunds angepasst, der sich einer perspektivischen Darstellung entzieht und als abstrakte, monochrome Fläche erscheint. Vor diesem Hintergrund treten die in Falten gelegten Gesichtszüge und der zur Seite gerichtete Blick des Mannes hervor. Der prominente Bart verdeckt dabei fast vollständig den Ausdruck des Mundes. Die Ruhe, welche von den auffällig inszenierten Händen ausgeht, stellt diese in ein Spannungsverhältnis zur Miene des Mannes. Kann die farbliche Korrespondenz zwischen dem fleckigen, stumpfen Graublau des Hintergrunds und der unteren, nur minimal sichtbaren Kleidungsschicht des Mannes als Sinnbild für sein Innenleben gelesen werden? Ist sein doppeltes Aufstützen auf Spazierstock und Tischplatte ein Zeichen seiner Erschöpfung? Versucht er äusserlich etwas aufrechtzuerhalten, dessen Zerfall er innerlich lange begriffen hat?

Der Bildtitel – Wilderer – lässt den Schluss zu, dass der Mann aus einer möglichen finanziellen Not heraus zur Wilderei, der Jagd auf nicht zum Abschuss freigegebenes Wild, gezwungen war. Für die Zeitgenossen aber zeigte sich gerade in den bekannten Brienzer Bauerntypen, die Max Buri (1868 – 1915) malte, das Alpenidyll einer – gegenüber den sich wandelnden Strukturen der Moderne – in ihren Werten beständigen, lokalen Dorfgemeinschaft. Während Tourismus und aufstrebendes Gewerbe Dörfer wie Brienz, wo Buri seit 1903 lebte, und das Zusammensein ihrer Dorfgemeinden veränderten, zeichnet die Figuren Buris das Unbewegte und Ruhige ihrer Erscheinung aus.[1] Denn als die Selbstwahrnehmung des Menschen sich im Zuge der Moderne verschiebt, sucht er Schutz im vertrauten Bild einer Heimat, die in Wirklichkeit ebenfalls im Umbruch ist. Buris Gemälde kann als Thematisierung der Ruhe und Unberührtheit, die im Ideal des Brienzer Dorfbewohners bewahrt wird, sowie des verunsicherten Zustandes der menschlichen Seele gelesen werden. Er gestaltet die sichtbaren Hautstellen des Mannes mit groben Pinselstrichen und lässt einzelne Stellen gerötet hervortreten. Er scheint die äussere Unberührtheit des Wilderers zu durchdringen und seine innere Unsicherheit an die Oberfläche der Darstellung treten zu lassen. Der hellbraunen Jacke des Mannes verleiht Buri mit pastosem Farbauftrag eine beinahe haptische Qualität. Dies könnte ein Verweis darauf sein, dass die innere Zerrissenheit zwar durch äussere Standhaftigkeit überdeckt, nicht aber aufgehalten werden kann. Max Buri erweitert mit dieser Darstellung das heroische Bildkonzept Ferdinand Hodlers und stellt ihm ein Bild der Zeit gegenüber, das auch seine eigenen, mit viel zeitgenössischer Anerkennung bedachten Darstellungen des Berner Oberlandes relativiert.[2]

Max Buri
Geboren 1868 in Burgdorf, gestorben 1915 in Interlaken. Besuchte die Privatschule des ungarischen Malers Simon Hollósy ( 1857 – 1918) in Basel und nahm Unterricht bei Albert von Keller (1844- 1920) in München. Unternahm immer wieder Studienreisen nach Paris. Lebte und arbeitete ab 1903 in Brienz.

 

[1] Max Buri und seine Zeitgenossen. Cuno Amiet, Giovanni Giacometti, Ferdinand Hodler, Edouard Vallet, Kat. Ausst. Fondation Saner Studen, Bern: Benteli, 2002, S. 79.
[2] Huggler, Max, Max Buri. Der Maler von Brienz, Bern: Wyss, 1981, S. 13.

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Autor

Annina Pandiani

Annina Pandiani ist Kunsthistorikerin (BA) und studiert seit 2018 im Master Curatorial Studies and Museology am Lehrstuhl für Moderne und Gegenwart an der Universität Bern.

Kommentare

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2 Kommentare

Kunstmuseum Bern
Mittwoch, 1. April 2020, 11:16

Chère Madame, merci pour votre intérêt. Cet article existe seulement en Allemand.

Jacqueline Perrodin
Mittwoch, 18. März 2020, 08:48

Est-il possible de recevoir cet article en français. Merci