Publiziert am 17. August 2018 von République Géniale

Peter Radelfinger – aus Fillious Backstube (n°1)

16. August 2018 Vernissage «République Génial» Kunstmuseum Bern.
Ich habe mich entschieden nicht an die Vernissage nach Bern zu fahren. Mich strengt das Spektakel an, und es macht mich konfus. Da ich am linken Ohr fast nichts mehr höre, sind Gespräche in solchen Situationen äusserst schwierig. Und das Networking in diesem Format liegt mir nicht.
Statt dessen habe ich mich entschieden, für diesen Abend, während der Zeit der Vernissage, eine Zweigstelle von Robert Fillious La Cédille qui sourit/ die Cedille die lacht zu eröffnen (Cedille: im Französischen gebrauchtes Häkchen unter dem Buchstaben C, das seine Aussprache als stimmloses s bezeichnet).

Blog_La Cédille qui sourit, Villefranche-sur-mer, 1966

La Cédille qui sourit, Villefranche-sur-mer, 1966

Im Sommer 1965 gründen Filliou und Georges Brecht eine Art Atelier-Boutique, heute würde man sagen Nicht-Boutique, weil sie nie im Handelsregister aufgenommen wurde, und immer geschlossen blieb. La Cédille wurde nur geöffnet auf Nachfrage von Leuten, die nach Villefranche-sur-mer zu Filliou, seiner Frau Marianne und zu Brecht zu Besuch kamen. Sie lebten damals alle finanziell in äusserst prekären Verhältnissen. La Cédille qui sourit wurde entworfen als internationales Zentrum der permanenten Kreation. Dort wurden Spiele gespielt, Objekte erfunden, es wurde gewürfelt, Kontakte zu Klein und Gross hergestellt, man trank und sprach mit den Nachbarn, man produzierte Gedichte, Bildrätsel, die man per Post verkaufte. Eine Anthologie von Missverständnissen und von Witzen wurde zusammengestellt. Ausgehend von dieser Sammlung begannen sie Filme herzustellen, Szenarien, die eine Minute dauern. Sie schafften es auch, einen Weihnachtsmarkt in Paris zu organisieren, wo sie mit Dutzenden anderer KünstlerInnen kleine, billige Kunstobjekte realisierten und verkauften, die man mehr als Geschenke, denn als Kunstwerke betrachten muss. Im März 1968 beschlossen sie La Cédillle zu schliessen.

16. August 2018, Vernissageabend der «République Génial» im Kunstmuseum Bern. Sarah, meine Frau und ich sind bei Freunden in ihrem Schrebergartenhäuschen eingeladen. Wir eröffnen die Zweigstelle La Cédille qui sourit am Züriberg mit einer Flasche Rosé. Die Erkenntnis lässt nicht lange auf sich warten. Fillious Ratschlag, die er selber gegenüber Marcel Duchamp geäussert hat lautet: stell dich nicht in Duchamps Tradition, sondern macht etwas ganz anderes!

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La Cédille qui sourit am Züriberg unter dem Baum d.E., 2018 . Foto: Christine Cadotsch

Lecture Performance von Peter Radelfinger Hors d’Oeuvre: Ein Brötchen für Robert Filliou – «In der Backstube des Denkens» am 29.08. um 12h

 

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République Géniale

Anhand dieser Blogartikel, Interviews und Videos von und mit den Beteiligten wird fortlaufend dokumentiert und reflektiert, was in der «République Géniale» stattfindet.

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