Publiziert am 30. August 2013 von Kathleen Bühler

Weshalb das «schwache Geschlecht»?

Tja, weshalb noch mit überkommenen Schlagworten und Klischees hantieren? Nachdem die Frauen über hundert Jahre lang als das „schwache Geschlecht“ galten – zumindest seit dem 1908 geschriebenen Pamphlet Sexe faible des Genfer Politikers und Essayisten William Vogt – war die Versuchung natürlich gross, nun unterfüttert von neuen Statistiken und Erhebungen über das wahre „schwache“ Geschlecht zu schreiben und den Spiess einfach umzudrehen. Ein bisschen Polemik darf schon sein und Klischees haben zumindest den Vorteil, dass sie sehr verknappt Botschaften übermitteln. Doch kommen wir als Gesellschaft nur weiter, wenn wir die Wertigkeit hinter diesen „geschlechtsspezifischen“ Zuschreibungen etwas genauer untersuchen. Wie das auch die Kampagne für selbstbestimmte Geschlechterrollen „Rollenrollen“ der TERRE DES FEMMES und der Jungen Grünen anstrebt, mit denen wir zusammen das Rahmenprogramm bestreiten. „Schwäche“ ist ja kein wertneutraler Begriff, sondern beschreibt etwas Unerwünschtes, was zu vermeiden wäre. Da ist glücklicherweise eine Umwertung im Gange, welche den alten „Schwächen“ längst neue Bedeutung zuteilt.

Sam Taylor-Johnson: Steve Buscemi, 2004, Aus der Serie: Crying Men, 2002–2004, C-Print, 99,2 x 99,2 cm, gerahmt, Courtesy White Cube © Sam Taylor-Johnson.

Sam Taylor-Johnson: Steve Buscemi, 2004, Aus der Serie: Crying Men, 2002–2004, C-Print, 99,2 x 99,2 cm, gerahmt, Courtesy White Cube © Sam Taylor-Johnson.

Besonders deutlich verfolgen kann man dies am Beispiel des weinenden Mannes. Man muss nur seinen Vater fragen, mit welcher Einstellung zum Weinen er aufgewachsen ist. Die Geburtsjahrgänge bis in die 1950er Jahre sind vermutlich mit der Erziehung grossgeworden, dass Weinen „unmännlich“ und möglichst in der Öffentlichkeit zu unterlassen sei. Die Jahrgänge der Babyboomer getrauen sich schon ein bisschen mehr und heute ist es absolut ok, auch mal eine Träne zu verdrücken, z.B. im Kino. Ein echter „tear jerker“ war diesbezüglich „The Bridges of Madison County“ aus dem Jahr 1995, den Clint Eastwood drehte. Hier habe ich einige gestandene Männer heulen gesehen. Und das berühmteste Beispiel ist natürlich Roger Federer. Er kann sich erlauben, vor einem Millionenpublikum zu weinen, ob er nun den Tennismatch gewonnen hat oder nicht. Zeigt dies nicht besonders deutlich, dass Tränen nicht mehr „unmännlich“ sind? Mein ehemaliger Nachbar mag Roger Federer nicht so und meinte dazu, dass dieser Vergleich hinke, weil Federer sowieso ein „Winnertyp“ sei und seine „Männlichkeit“ damit kaum in Gefahr bringe. Wenn er kein Millionenverdiener und mehrfacher Sportler des Jahres wäre, läge der Fall auch anders. Wir haben einige Kunst mit weinenden Männern gefunden. Wir zeigen sie Ihnen ab dem 18. Oktober 2013 im Hauptsaal der Ausstellung unter dem Titel „Starke Schwächen“. Es soll niemand behaupten, dass die Klischees unangetastet bleiben…

Veröffentlicht unter Blick hinter die Kulissen
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Autor

Kathleen Bühler

Kathleen Bühler, Kuratorin und seit 2008 Leiterin der Abteilung Gegenwartskunst am Kunstmuseum Bern. Sie kuratierte unter anderem die Ausstellungen «Merets Funken» (2012), «Das schwache Geschlecht. Neue Mannsbilder in der Kunst» (2013/14) und «Chinese Whispers» (2016).

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